In der 3.Runde wählte Arkadij Naiditsch in seiner Partie gegen Peter Leko eine selten gespielte Variante in der sizilianischen Verteidigung. Obwohl Leko wohl einige Möglichkeiten ausliess, erreichte die deutsche Nr.1 letztendlich ein relativ lockeres Remis mit Schwarz.

Leko,P (2738) – Naiditsch,A (2654) [B29]
Sparkassen-Chess-Meeting (3), 2007

[Souleidis,Georgios]

1.e4 c5 2.Sf3 Sf6
Diagramm 1
Die Nimzowitsch-Variante. Meines Erachtens wird sie unterschätzt, denn sie leistet zumindest als Überraschungswaffe hervorragende Dienste. Zusammen mit FM Thomas Michalczak habe ich sie auf Herz und Nieren geprüft und einen ausführlichen Theorieartikel geschrieben ((Vgl.: http://www.deep-chess.de/theory/theory.htm)). 3.e5 Sd5 4.d4 Leko war mit Sicherheit nicht vorbereitet und so wählt er eine selten gespielte Fortsetzung (4.Sc3 (( Vgl.: http://entwicklungsvorsprung.de/?p=74)) ist der Hauptzug). 4…cxd4 5.Dxd4 e6 6.Lc4 Sc6 7.De4 d6 8.0-0
Diagramm 2
8…Sb6?! Macht keinen guten Eindruck, den Springer aus dem Zentrum wegzuziehen (8…dxe5 wurde schon mehrmals gespielt und war absolut zufriedenstellend für Schwarz). 9.Lb5 Ld7 10.exd6 Lxd6 11.Sc3 a6
Diagramm 3
12.Le2?! Lethargisch gespielt [12.Td1! hätte Schwarz mehr Schwierigkeiten bereitet. 12…De7 Nun kann Schwarz nicht lang rochieren, da immer Lg5 folgt. (12…Dc7 13.Le3 mit Initiative) 13.Le3 f5 14.Dd3 Lc7 15.Sa4! und Weiss ist am Drücker.] 12…f5! Bei dieser Bauernstruktur ein logischer Vorstoss auch in diesem frühen Stadium. Schwarz vergrössert seinen Einfluss auf das Zentrum. 13.Dd3 Dc7 14.Le3 In Anbetracht der folgenden Ereignisse war 14.Td1 vielleicht die letzte Möglichkeit, um Vorteil zu kämpfen. 14…Se5! 15.Sxe5 Lxe5 16.f4 Lf6 17.Ld4 Lxd4+?! [17…0-0-0! 18.Tad1 (18.Lxf6?! gxf6 19.De3 Thg8 20.Tad1 e5 mit Gegenspiel für Schwarz.) 18…Lc6 19.De3 Lxd4 20.Txd4 Txd4 21.Dxd4 Te8 nebst e5 und Schwarz gleicht aus.] 18.Dxd4 0-0-0
Diagramm 4
19.Tad1?! Typisch Leko. Er scheut wie so häufig das Risiko. [Dabei wäre 19.Dxg7 gut möglich gewesen: 19…Thg8 20.De5 Dxe5 Schwarz kann dem Damentausch kaum ausweichen. 21.fxe5 Lc6 22.Tf2! Sd7 (22…Td2 23.Lf1±) 23.Te1! und Schwarz müsste erstmal nachweisen, wofür er eigentlich einen Bauern geopfert hat.] 19…Lc6 20.De3 Nun verflacht das Spiel relativ schnell. 20…Txd1 21.Txd1 Te8 22.Lf1 e5 23.fxe5 Txe5 Der Rest ist ziemlich uninteressant und das Remis ist auf diesem Niveau vorprogrammiert. 24.Dd4 g6 25.Dd6 Dxd6 26.Txd6 Kc7 27.Td4 Sd7 28.Kf2 Sf6 29.Le2 b5 30.Lf3 g5 31.a4 h6 32.axb5 axb5 33.h3 f4 34.h4 Tf5 35.hxg5 hxg5 36.Tb4 Te5 37.Lxc6 Kxc6 38.g3 fxg3+ ½-½

Heute war ich das erste Mal in diesem Jahr live beim Sparkassen-Chess-Meeting ((http://www.sparkassen-chess-meeting.de/index.html)) in Dortmund dabei (anbei der Beweis)
Eintrittskarte
und ich muss zugeben (nicht, dass ich das jemals bezweifelt hätte), aber live dabei sein, ist qualitativ hochwertiger, als sich die Partien im Internet anzuschauen. Ausserdem trifft man bekannte Gesichter, wie den Gewinner des letztjährigen Opens IM Olaf Heinzel oder hält einen kurzen Plausch mit einem der Kommentatoren. Vor allem kommt man aber in den Genuss der Livekommentierung, die wie immer in den bewährten Händen von Dr. Helmut Pfleger und GM Klaus Bischoff liegt.

Ein Highlight war der Besuch von Papa Carlsen in der Sprecherkabine. Da er erstaunlich gut Deutsch spricht, musste der arme Mann, da wo er konnte, die vielen Fragen auch in dieser Sprache beantworten. Dabei kam es nicht selten zu interessanten Aussagen (ich weise ausdrücklich darauf hin, dass ich mich an dieser Stelle nicht lustig machen möchte):

Auf die Frage ob denn sein Sohn Magnus Carlsen nicht langsam müde werde, da er so viel spielt: „Ja, viele lange schwere Parteien.“
Auf die Frage wie er die gesamte Entwicklung seines Sohnes sieht: „Es ist ein Träum.“
Auf die Frage wie es mit der Freistellung von seinem Job aussieht: „Ja, dieses Jahr habe ich nur Schach gemacht. Das ist Spass.“

Man erfuhr auch wirklich interessante Tatsachen über seinen Sohn. Dass er z.B. drei Schwestern hat, die auch Schach spielen, oder dass sein Schulfreund Jon Ludwig Hammer (Elo 2346) gerade das parallel stattfindende Open ((http://www.schach-ticker.de/sparkassen_open07a_tabelle.html)) dominiert. Ausserdem spielt Magnus sehr gerne Fussball im Jugendteam von Lommedalen (Heimatstadt der Carlsens). Heute war Magnus etwas kränklich (entzündeter Hals). Das brachte Dr. Pfleger auf den Plan sich anzubieten: „Wenn sie etwas brauchen, ich bin Arzt, vielleicht kann ich ihnen eine Medizin empfehlen.“ Papa Carlsen: „Ja, vielleicht später.“

Später hat Magnus bestimmt mehr als nur Medizin gebraucht, denn heute wurde er vom Weltmeister Vladimir Kramnik ziemlich auseinandergenommen, der damit auch die alleinige Tabellenführung übernahm ((http://www.chess-international.de/ticker/chess_meeting2007/tabelle.html)). Imposant auch die Kramniksche Spielweise. Nachdem er einen Zug machte, stand er direkt auf und verschwand hinter die Bühne. Vielleicht hat er heute eine Stunde nachgedacht, aber bestimmt nicht mehr:

Kramnik,V (2772) – Carlsen,M (2698) [E05]
Sparkassen-Chess-Meeting (4), 2007

[Souleidis,Georgios]

1.Sf3 Sf6 2.c4 e6 3.g3 d5 4.d4 Le7 5.Lg2 0-0 6.0-0 dxc4 7.Dc2 a6 8.Dxc4 b5 9.Dc2 Lb7 10.Ld2 Sc6 11.e3 Sb4 12.Lxb4 Lxb4 13.a3 Le7 14.Sbd2 Tc8 15.b4 a5 16.Se5
Diagramm 1
16…Sd5? Schwarz muss irgendwas verwechselt haben, oder seine Vorbereitung beinhaltete ein dickes Loch, denn hierbei handelt es sich um eine Neuerung, die im höheren Sinne fast schon zu einer verlorenen Stellung führt. [16…Lxg2 17.Kxg2 c6 kam in Marin-Marciano, Bukarest 1993, vor. Es stellt sich die Frage, wo Weiss hier eine Verbesserung vorbereitet hatte.] 17.Sb3!± Natürlich, der Springer hüpft mit Tempo nach c6. 17…axb4 18.Sa5! La8 19.Sac6 Lxc6?! [19…Dd6 20.Lxd5 exd5 21.axb4± und die Springer sind den Läufern haushoch überlegen.; 19…De8 ist vielleicht noch am zähesten: 20.Lxd5 exd5 21.Sxe7+! Dxe7 22.axb4 Dxb4 23.Tfb1 De7 24.Txb5± Diese Stellung sollte technisch gewonnen sein für Weiss, da er über die klar bessere Leichtfigur und Bauernstruktur verfügt.] 20.Sxc6 Dd7
Diagramm 2
21.Lxd5! Ohne lange nachzudenken gespielt. Weiss verbleibt mit der besseren Leichtfigur. 21…exd5 22.axb4+- 22…Tfe8 [22…Ta8 23.Ta5+-] 23.Ta5 Lf8 24.Se5 De6 [Das Qualitätsopfer hätte auch nichts gebracht: 24…Txe5 25.dxe5 Lxb4 26.Ta7 Lf8 27.Tc1 b4 28.Txc7 Txc7 29.Dxc7+-] 25.Txb5 Tb8 [Mit 25…Lxb4 26.Txb4 c5 27.dxc5 Dxe5 hätte Schwarz noch ein wenig tricksen können, doch nach 28.Td1 verbleibt „nur“ noch die technische Verwertung des grossen Vorteils für Weiss.] 26.Txb8 Txb8 27.Dxc7 Ld6 [27…Txb4 28.Ta1 f6 29.Sd7+-]
Diagramm 3
28.Da5! Sehr präzise gespielt, da die Dame von hier auch die Grundreihenschwäche nicht ausser Acht lässt. 28…Lxb4? Ein Fehler in allerdings eh schon verlorener Stellung. [28…Lxe5 29.dxe5 Dxe5 30.Td1+- und Weiss gewinnt auch den Bauern d5.] 29.Tb1! Dd6 30.Da4 Nach diesem nochmaligen präzisen Zug sah Schwarz zu Recht keinen Grund weiterzukämpfen, da er nach 30…Lc3 31.Txb8+ Dxb8 32.Dc6 auch den Bauern d5 verliert. 1-0

Die Partien Alekseev-Leko und Gelfand-Mamedyarov endeten Remis und es scheint, dass keine der Parteien ernsthafte Gewinnchancen hatte. Allerdings muss das Endspiel der ersteren noch geprüft werden. Die längste Partie des Tages spielten der Inder Anand und der Lokalmatador Arkadij Naiditsch mit dem besseren Ende für die Nr.1 der Weltrangliste:

Anand,V (2786) – Naiditsch,A (2654) [C78]
Sparkassen-Chess-Meeting (4), 2007

[Souleidis,Georgios]

Diagramm 4
39…Le4+? Kurz vor der Zeitkontrolle begeht Schwarz den entscheidenden Fehler. Das logische 39…Tc2 hätte die Sache weiterhin spannend gestaltet. 40.Kg3 Tc2 Vielleicht hatte Schwarz übersehen, dass nach 40…Ld5 41.Sd4! für Weiss gewinnt. 41.Sf8!+- Bastelt an einem Mattnetz. 41…Ld3 41…Txc3+ verbietet sich wegen 42.Kh4 und Schwarz darf den Läufer nicht ziehen, weil f4 und g5 mit Matt folgt. 42.f4 Tc1 43.Tf7 Tg1+ 44.Kh3 Th1+ 45.Kg2 Le4+ 46.Kf2 Th3
Diagramm 5
Nun erwartete jeder 47.Txf6+ Kg7 48.g5+- doch Weiss spielt für die Gallerie. 47.Se6! Tf3+ 48.Ke2 Kg6 49.Tg7+ Kh6 50.f5! Txc3 50…Lxf5 51.gxf5 Txf5 52.Tg3+- 51.Tg6+ Kh7 52.Txf6 Lf3+ 53.Kf2 Lxg4 Es sieht so aus, als ob Weiss es verdaddelt hat, doch er hatte alles bis zum Schluss exakt berechnet.
Diagramm 6
54.Sg5+ Kg8 55.Tg6+ Kf8 56.Sh7+! Kf7 57.Txg4 1-0

Beim sehr stark besetzten Grossmeisterturnier in Foros ((http://www.ukrchess.org.ua/aerosvit2007/index_e.htm)) liegt der Jungstar Sergey Karjakin nach der 7.Runde mit fünf Punkten in Front. Gestern gelang ihm ein schöner Abschluss gegen den Holländer Loek van Wely.

Karjakin,Sergey (2686) – Van Wely,L (2674) [B90]
Aerosvit Foros UKR (7), 25.06.2007

[Souleidis,Georgios]

Diagramm 1
26.Lxh6! gxh6? (Schwarz hätte mit einem Bauern weniger weiterspielen sollen: 26…Dc7 27.Dg6±) 27.Dg6+ Kh8 28.Dxh6+ Kg8 29.Dg6+ Kh8 30.Te3 Das Feld g3 muss nun unter Kontrolle genommen werden. 30…f4 (30…Lh4 31.Dxd6+-)
Diagramm 2
31.Txe5!+- dxe5 32.Dh6+ Kg8 33.d6! Nun kommt der weisse Läufer entscheidend ins Spiel. 33…Tf7 34.Lc4 Lf5 35.dxe7 Und da die Drohung 36.Dg5+ nicht vernünftig zu parieren ist, gab Schwarz auf. 1-0

In der heutigen Ausgabe, Nr. 26/25.6.07, der Zeitschrift „Der Spiegel“ ist auf S.125 ein Kurzinterview abgedruckt, in dem ein Neurologe ziemlich abstruse Vergleiche zwischen Fussball und Schach aufstellt. Hier einige Kostproben:

Spiegel: Werden Fussballspiele im Kopf entschieden?

Neurologe: Im Wesentlichen ja. […]. Was Fussball ausmacht, basiert auf einem riesigen Blumenstrauss von Hirnfunktionen.

Spiegel: Welche Funktionen sind das?

Neurologe: Die Leistung, die dem Gehirn beim Fussball abverlangt wird, ist grösser als beim Schach. Das Spiel fordert Logik und Kombinationsgabe. Fussball ist vielschichtiger: Motorik ist gefragt, Orientierung, Koordination, Aufmerksamkeit, Interaktion. […]

Spiegel: Ist Bastian Schweinsteiger intelligenter als Garri Kasparow?

Neurologe: Das kommt darauf an, wie man Intelligenz definiert. Klar ist, dass Schweinsteigers Gehirn die anspruchsvollere Aufgabe lösen muss. Man erkennt das zum Beispiel daran, dass ein Computer im Schach gegen einen Menschen gewinnen kann, aber ein Fussball-Roboter ist selbst gegen einen Achtjährigen chancenlos.

Spiegel: Warum gibt es dann so wenige Fussballer mit Abitur?

Neurologe: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. […] Die koordinative Leistung eines Kickers ist nur noch mit der eines Konzertpianisten oder Violinisten vergleichbar.

Der Artikel wird höchst trefflich mit einem Foto der Komponisten Poldi und Schweini illustriert.

Zur Zeit finden so viele hochkarätige Schachturniere statt, man weiss gar nicht wo man zuerst hinschauen soll. Natürlich könnte man einfach den Computer ausschalten, aber dafür ist Schach einfach zu geil. Hier meine derzeitigen Favoriten:

1. Sparkassen-Chess-Meeting 2007 in Dortmund
2. Aerosvit 2007 in Foros
3. Niederländische Einzelmeisterschaft in Hilversum
4. Spanische Mannschaftsmeisterschaft in Lugo
5. Open in Hilversum

Beim bärenstark besetzten Grossmeisterturnier in Foros ((http://www.ukrchess.org.ua/aerosvit2007/index_e.htm)) gelang dem Niederländer Loek van Wely in der 4.Runde eine sensationelle Partie gegen den Russen Jakovenko. Dario Mione hat sie auf seinem Blog ((http://midaschess.blogspot.com/2007/06/arvier-brunello-fights-for-gm-norm.html)) ausführlich analysiert. Nachspielen und geniessen.

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