In der heutigen Ausgabe, Nr. 26/25.6.07, der Zeitschrift „Der Spiegel“ ist auf S.125 ein Kurzinterview abgedruckt, in dem ein Neurologe ziemlich abstruse Vergleiche zwischen Fussball und Schach aufstellt. Hier einige Kostproben:

Spiegel: Werden Fussballspiele im Kopf entschieden?

Neurologe: Im Wesentlichen ja. […]. Was Fussball ausmacht, basiert auf einem riesigen Blumenstrauss von Hirnfunktionen.

Spiegel: Welche Funktionen sind das?

Neurologe: Die Leistung, die dem Gehirn beim Fussball abverlangt wird, ist grösser als beim Schach. Das Spiel fordert Logik und Kombinationsgabe. Fussball ist vielschichtiger: Motorik ist gefragt, Orientierung, Koordination, Aufmerksamkeit, Interaktion. […]

Spiegel: Ist Bastian Schweinsteiger intelligenter als Garri Kasparow?

Neurologe: Das kommt darauf an, wie man Intelligenz definiert. Klar ist, dass Schweinsteigers Gehirn die anspruchsvollere Aufgabe lösen muss. Man erkennt das zum Beispiel daran, dass ein Computer im Schach gegen einen Menschen gewinnen kann, aber ein Fussball-Roboter ist selbst gegen einen Achtjährigen chancenlos.

Spiegel: Warum gibt es dann so wenige Fussballer mit Abitur?

Neurologe: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. […] Die koordinative Leistung eines Kickers ist nur noch mit der eines Konzertpianisten oder Violinisten vergleichbar.

Der Artikel wird höchst trefflich mit einem Foto der Komponisten Poldi und Schweini illustriert.

Kommentare

11 Antworten zu “Ein riesiger Blumenstrauss an Schwachsinn oder komplexe Sachverhalte simpel erklärt”

  1. Schachblog rank zero am 25. Juni 2007, 18:01

    Der Neurologe gibt hier nur einen Gemeinplatz wieder, der auch gerne von KI-Forschern verbreitet wird, um die Finanzierung ihrer etwas verspielten Fussball-Roboter-Projektgruppen zu rechtfertigen. Das liegt schlicht am hochproblematischen System der Wissenschaftsfinanzierung: Für Forschungen auf dem Gebiet „Künstliche Intelligenz und Schach“ kann man seit 1997 von der DfG usw. kaum noch Geld bekommen, da dort dieses Problem als „erledigt“ gilt (was es im Sinne der Intelligenzforschung natürlich nicht ist – die Deep-Blue-Partien wurden durch Rechenkraftunterschiede gewonnen).

    Wahrscheinlich müsste man, um die Absurdität des Vergleichs zu illustrieren, einen Vierrad-Roboter mit einem 1500 PS-Motor bauen, der mit einer entsprechenden Geschwindigkeit übers Fussballfeld düst und dabei trotz mangelnder Feinmotorik Poldi und Schweini alt aussehen lassen dürfte. Dann kann man freilich fragen, ob die Existenz dieses Monstergefährts irgend etwas über höhere „fussballerische Intelligenz“ aussagt.

    Hier rächt sich, dass die meisten Neurologen von der Psychologie herkommen – und was dort unter Wissenschaft verstanden wird, weiss erst jemand, der sich da mal in eine Grundvorlesung gesetzt hat, die im wesentlichen aus Auswendigpauken zweifel- bis fehlerhafter Privat- Definitionen und -Glaubenssätze des Professors besteht. Das wird eigentlich nur dadurch übertroffen, dass die Psychologiestudis das meiner Erfahrung nach auch noch vollkommen unkritisch mitmachen (hier erfolgt die negative Selektion offenbar schon bei der Fächerwahl).

    Mit dem Spiegel hat man hier für die Schaumschlägerei freilich auch noch ein Medium gefunden, dass seit geraumer Zeit durch besondere schachliche Inkompetenz glänzt. Ein schöner Höhepunkt war kürzlich, dass die deutsche Nr. 265 es auf das Titelblatt schaffte als angebliches Beispiel dafür „wie alpha-Mädchen die Männer in früheren Domänen überholen“(!).

    Der einzige Überholvorgang liegt in der Medienpräsenz, und der ist unfähiger oder einseitiger Berichterstattung zuzuschreiben. Dass dieser Spiegel-Artikel freilich selbst von deutschen Schachseiten, die es eigentlich besser wissen müssten, als zitierwürdig angesehen wurde, ist leider bezeichnend für die wirkenden Mechanismen.

  2. Thomas am 25. Juni 2007, 18:53

    Ich bin Psychologe und kann dem Vorposter nur zustimmen. Der Artikel ist an Lächerlichkeit kaum zu überbieten.

  3. Georgios Souleidis am 25. Juni 2007, 22:14

    Danke für die erhellenden Kommentare. Das Problem der Wissenschaftsfinanzierung spukte mir direkt nach dem Lesen des Interviews im Kopf rum, doch ich hätte das niemals so differenziert erläutern können.

    Von der Seite der Medien lässt sich sagen, dass kontroverse Themen natürlich aufgenommen werden, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das ist jeden Tag das gleiche Spiel und bedeutet nicht, dass die Macher selbst davon überzeugt sind, was sie veröffentlichen.

    Nicht zufällig wurde im Kontext dieses Interviews ein Foto von den beiden Jungstars gewählt, die nicht gerade als Prototypen intelligenter Sportler dienen dürften. Man könnte das so interpretieren, dass das Medium relativ subtil darauf hinweist, dass das ziemlicher Unsinn ist, was da gerade gelesen wird.

  4. Fetzo am 26. Juni 2007, 08:55

    Ich habe mir sowas immer schon gedacht.

    Das wir Schachspieler blöder sind als Fussballer muss doch jeder einsehen, der mal ein Interview mit Andreas Brehme oder in heutigen Tagen Poldi gesehen hat. 🙂

    Spiegel-Leser wissen bekanntlich mehr 🙂

    Gruss Fetzo

  5. Etez am 26. Juni 2007, 11:38

    1. Die Behauptungen sind in dieser Form natürlich äusserst fraglich, was man unter anderem auch daran sehen kann, dass die grössten Geistesgrössen Deutschlands (Poldi und Schweini, evlt. auch noch Klose, wenn sich seine temporären Läsionen wieder gegeben habe sowie seit neuestem der Münchner Forscher Toni) sich noch nicht wohlwollend dazu geäussert haben.

    2. Insbesonderesollte der interviewte Neurologe durchaus wissen, dass es zwar viele Intelligenzdefinitionen gibt, aber mir keine geläufige bekannt ist, welche motorische Fähigkeiten derart in den Vordergrund stellen.

    3. Ich möchte aus gegebenen Anlass darauf hinweisen, dass die meisten Neurologen keine Psychologen, sondern vielmehr Ärzte sind, deren empirisch-wissenschaftliche Ausbildung hinter denen der Psychologen zurückbleibt.

    4. Ob die obige Sicht der Psychologen von Rank zero zutrifft, möchte ich ebenso als in dieser Form nicht richtig zurückweisen, für eine ausführliche Diskussion zu diesem Thema stehe ich jederzeit und an jedem Ort zur Verfügung 🙂

  6. Ray am 26. Juni 2007, 11:50

    Wahrscheinlich ist die Leistung des Gehirns tatsächlich grösser beim Fussballspielen, weil mehr an motorischer Koordination und sensorischer Auswertung geschieht. So ein Gehirn muss ja ne Menge Zeugs machen. Statt Kasparov hätte man z.B. auch Stephen W. Hawking als Vertreter der „klassisch Intelligenten“ nennen können. Auch dessen Gehirn hätte weniger Tätigkeiten gleichzeitig auszuführen, um seinen Beruf auszuüben, als ein Konzertpianist. Der bewusst provokante Fehler des Artikels liegt vermutlich darin, diese Art von Gehirnleistung mit Intelligenz gleichzusetzen. Wie der Neurologe vorsichtig antwortete, als er in die provokante Ecke gedrängt wurde: „Das kommt darauf an, wie man Intelligenz definiert.“

  7. Michael am 27. Juni 2007, 22:42

    Hallo Etez,
    schön, dass Du Dich der Diskussion stellst. Meines Erachtens hat Rank Zero mit seiner indirekten Aussage, dass Psychologie keine Wissenschaft ist, recht.
    In Deiner Argumentation wird auf die Emperie verwiesen. Genau da liegt einer der Knackpunkte, neben der bereits von Rank Zero skizzierten Problematik der Definitionen. Wie viele empirische Versuche gab es, die die psychologische Aussage A als gültig eindrucksvoll bewiesen haben? Dumm ist nur, dass andere empirische Versuche gezeigt haben, dass die psychologische Aussage B (ebenfalls) richtig ist. An sich für eine Wissenschaft kein Problem, nur ist A das (absolute) Gegenteil von B. Entweder einer der „Wissenschaftler“ hat nicht sauber gearbeitet oder der Zusammenhang zwischen Psychologie und Wissenschaft ist sehr zweifelhaft. Ich tendiere klar zum zweiten Teil der Aussage.
    Viele Grüsse Michael

  8. Etez am 28. Juni 2007, 11:49

    Hallo Etez,
    schön, dass Du Dich der Diskussion stellst.

    –> Der wissenschaftliche Diskurs gehört eben dazu. 🙂

    Meines Erachtens hat Rank Zero mit seiner indirekten Aussage, dass Psychologie keine Wissenschaft ist, recht.

    In Deiner Argumentation wird auf die Emperie verwiesen. Genau da liegt einer der Knackpunkte, neben der bereits von Rank Zero skizzierten Problematik der Definitionen.

    –> Das Definitionsproblem ist kein Problem der Psychologie, sondern der gesamten Wissenschaft.

    Wie viele empirische Versuche gab es, die die psychologische Aussage A als gültig eindrucksvoll bewiesen haben? Dumm ist nur, dass andere empirische Versuche gezeigt haben, dass die psychologische Aussage B (ebenfalls) richtig ist. An sich für eine Wissenschaft kein Problem, nur ist A das (absolute) Gegenteil von B.

    –> Hier liegt nur ein scheinbares Problem vor: Die Psychologie ist ein Disziplin, welche nicht auf einer klaren Axiomatik fusst (oder auch fussen kann). Insofern sind viele Aussagen eher Wahrscheinlichkeitssagen, die aber dennoch die Kriterien der Wissenschaft genügen sollten. Ein Beispiel aus der klinischen Psychologie: Es hat sich gezeigt, dass Frauen häufiger Depressionen aufweisen als Männer (was eine Depression ist, wird definitorisch in den beiden gängigen Klassifikationssystemen beschrieben). Dem schliesst sich die Frage an, warum dem so ist. Ein Erklärungsansatz ist ein Unterschied in den Neurotransmittersystemen zwischen Mann und Frau. Diese Hypothese kann anhand von Untersuchungen widerlegt oder auch bestätigt werden. Wenn unterschiedliche Untersuchungen unterschiedliche Ergebnisse aufweisen, zeigt dies jedoch nicht, dass Psychologie keine Wissenschaft ist, sondern dass der Grund für die Unterschiedlichkeit gefunden werden muss. Bei solch einfachen Fragestellungen wird sich „die Wahrheit“ einfach durch die Zahl der sauber durchgeführten und publizierten Studien durchsetzen, bis eine „neue Wahrheit“ diese eventuell ersetzen kann. Nun könnte man auch sagen, Depressionen werden durch Umwelteinflüsse (e.g. Trauerfälle in der Familie) ausgelöst werden. Und in der Tat finden sich hierfür ebenso Belege. Diese Aussage widerspricht jedoch nicht der anderen Aussagen, insofern entwickelt man ein Modell der Depression, welches unterschiedliche Risikofaktoren beinhaltet und so den Versuch darstellt, sich der „Wahrheit“ zu nähern. Neben diesem simplen Beispiel lassen sich auch noch näher den Naturwissenschaften angesiedlete Disziplinen der Psychologie wie der Wahrnehmungs- und Kognitionspsychologie anführen.

    Entweder einer der “Wissenschaftler- hat nicht sauber gearbeitet oder der Zusammenhang zwischen Psychologie und Wissenschaft ist sehr zweifelhaft.

    –> Unsauberes Arbeiten ist leider ein Problem, aber es gibt genügend Bestrebungen gegen solche Versuche.

    Ich tendiere klar zum zweiten Teil der Aussage.

    –> Wie zu erkennen (auch) an dem kurzen Beispiel war, kann man die Wissenschaftlichkeit der Psychologie durchaus konstatieren: Eine klar formulierte Hypothese kann getestet und damit falsifiziert werden. Ebenso wird im wissenschaftlichen Diskurs mittels systematischer und methodisch-analytischer Arbeit ein Zuwachs von Wissen und Nichtwissen erzielt, was integraler Bestandteil der Wissenschaften ist. Dass dieses Bestreben in der Geschichte der Psychologie (und m. E. insbesondere in der Psychoanalyse) nicht immer zu erkennen war, stimmt natürlich, aber die letzten Jahrzehnte zeigen dies doch. Dass die Psychologie im Ruf steht, keine Wisssenschaft zu sein, könnte vielleicht daran liegen, dass a) ein falsches Bild der Disziplin vorliegt, b) Wissenschaften auf Naturwissenschaften klassicher Art reduziert werden oder c) ein veraltetes Wissenschaftstheoriegebäude existierte. Meines Erachtens genügt die Psychologie heutiger Prägung in ihrer herrschenden Form durchaus den Ansprüchen der Wissenschaft.

    Viele Grüsse Michael

    –> Beste Grüsse zurück und weiterhin für jede Fehde zu haben 😉

    Etez

  9. jack am 03. Juli 2007, 14:03

    Naja, das der Artikel Nonsens ist, ist völlig klar.
    Aber sowohl die Print-Ausgabe des Spiegel, als auch Spiegel-Online sind seit einigen Jahren mit nicht geringem Erfolg um die kontinuierliche Senkung des Niveaus bemüht, das betrifft nicht nur die Berichterstattung über Schach.
    Augsteins Tochter hat dazu ja schon vor einigen Jahren etwas gesagt.

  10. Georgios Souleidis am 03. Juli 2007, 21:04

    Was hat sie denn gesagt?

  11. Schachblog rank zero am 05. Juli 2007, 21:44

    Auf der Berliner Zeitungskonferenz« am 10. November 2005:

    Man kann von dem Chefredakteur des „Spiegel“ halten, was man will. Die Berufsbeschreibung des Chefredakteurs und die des Heiligen decken sich nicht. Ein objektiver Befund ist aber, dass unter der Ägide des jetzigen „Spiegel“-Chefredakteurs das Blatt seinen Platz als Leitmedium verloren hat. [-¦] Der Akzent auf Wirtschaftsthemen, die Vernachlässigung politischer Entwicklungen und Probleme zugunsten der Personalisierung, die Verlagerung auf die so genannten weichen Themen: All dies kennzeichnet heutzutage den „Spiegel“ und hat das Magazin zu einem geschwätzigen Blatt unter anderen gemacht. Der Fisch stinkt vom Kopf. Sie kennen das Sprichwort. Wenn das Blatt, das bisher Standards setzte, diese Standards freiwillig aufgibt, haben andere Zeitungen und Magazine keinen Grund, sich mehr um Ernsthaftigkeit, Ausführlichkeit und Problemdurchdringung zu bemühen. Der Aufwand an Zeit und Geld lohnt sich nicht: Die Konkurrenz ist ja weggefallen.

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