Zu meinem gestrigen Artikel ((Wie ich mich auf meine Gegner vorbereite)) erreichte mich ein Gastbeitrag von Manfred Herbold ((Der Schachtherapeut)), den ich hiermit ungekürzt veröffentliche. Er enthält drei schöne Beispiele, die aufzeigen, wie eine gelungene Vorbereitung aussehen kann.

Meine Vorbereitung auf den Gegner sieht anfangs ähnlich aus wie bei Georgios. Zuerst schaue ich mir Partien meines Gegners in einer Datenbank an; Schwerpunkt Eröffnung. Neben den doch sehr teuren Chessbase-Produkten sei hier auch auf die günstige und sehr gute LeguanBase hingewiesen, die man bei ebay zwischen 10 und 20 Euro ersteigern kann.

Allerdings schaue ich mir nicht nur Partien meiner Farbe an, sondern will auch wissen, welche Eröffnungen der Gegner mit der anderen Farbe spielt. Dadurch will ich vermeiden, dass eine Eröffnung auf’s Brett kommt, die der Gegner mit Weiss und mit Schwarz spielt; dann wären seine Kenntnisse den meinen bestimmt überlegen.

Habe ich eine Eröffnung gefunden, die mich interessiert und die ich gern spielen würde, habe ich 3 verschiedene Techniken der Vorbereitung, die man natürlich auch miteinander verknüpfen kann.
1. Die giftige Nebenvariante
2. Computeranalyse
3. Musterpartien

Zu allen 3 Techniken will ich zum besseren Verständnis eine Partie zeigen.

1. Die giftige Nebenvariante

Herbold,Manfred (2129) – Nemec,Otakar (2056) [D82]
Litomysl op Litomysl (9), 01.01.2004

Ich wusste, dass mein Gegner Grünfeldindisch spielt. Grünfeldindisch-Spieler (selbst die ‚einfachen‘ Klubspieler) sind dafür bekannt, dass sie die Hauptvarianten bis zum 20. Zug kennen.
1.c4 Sf6 2.Sc3 d5 3.d4 g6 Grünfeldindische Grundstellung erreicht. Nun betreten wir mit 4.Lf4 die Nebenvariante. 4…Lg7 Und mit 5.Da4+ holen wir den Gegner vollends ‚out of book‘.

Betrachten wir die Stellung mal und setzen voraus, dass Schwarz die Stellung von der Theorie her nicht kennt. Ein Zug wie 5…Sc6 ist ihm nicht recht, da er es gewohnt ist mit seinem c-Bauern früh das weisse Zentrum anzuknabbern. Auch 5…c6 erscheint ihm suspekt, da er nach 6.Lxb8 Txb8 7.Dxa7 einen Bauern verliert. (Trotzdem stellen diese beiden Züge die besten Erwiderungen dar!)
Deshalb entscheidet sich Schwarz zur Partiefortsetzung, die noch spielbar ist, aber nur wenn man den richtigen 6. Zug kennt. 5…Ld7 6.Db3 mit Doppelangriff auf b7 + d5. 6…Lc6? Naheliegend, aber schlecht! Der Läufer deckt zwar beide angegriffenen Bauern, übersieht aber die nun folgende weisse Keule. 6…Sc6!

7.e4! Schwarz verliert nun nicht nur kompensationslos einen Bauern, sondern vermutlich auch die Nerven und die Lust an der Partie. 7…e6 7…dxe4? 8.d5 und Schwarz verliert wegen dem bevorstehenden Einschlag auf b7 eine Figur und kann bereits aufgeben! 8.cxd5! exd5 9.Lg5!

9…h6? 9…0-0! Der einzige Zug, wenn man noch weiterspielen möchte. 10.e5 De8! (10…Te8? 11.Le2+-) 11.Lxf6 Lxf6 12.Sxd5 mit Mehrbauer für Weiss. Die Lage ist zwar nicht ganz klar, denn Schwarz hat etwas Kompensation dafür. Aber Schwarz müsste schon eine Reihe von guten Zügen finden. 12…Lxd5! 13.Dxd5 Sc6 14.Lb5 Td8 15.Dc5 und Weiss steht etwas besser. 10.Lxf6 Dxf6 11.exd5 Dxd4? Sucht sein Heil noch im Chaos, aber die Partie ist bereits hinüber. 12.dxc6 Sxc6 13.Dxb7 0-0 14.Dxc6 Tfe8+ 15.Le2 Tab8 16.Sf3 Df4 17.0-0 Lxc3 18.Dxc3 Txe2 19.b3 1-0

2. Computeranalyse

Herbold,Manfred (2129) – Mudrak,Josef (2387) [E87]
Litomysl op Litomysl (4), 28.12.2003

Von meinem Gegner, der über 250 ELO-Punkte mehr hat, wusste ich, dass er das Damenopfer in der Sämisch-Variante der Königsindischen Verteidigung gerne anbringt. Dies verhiess auf alle Fälle eine spannende Partie, auch wenn ich sie verlieren würde. Die Stellung nach 11…Sxe3 analysierte ich 2 Stunden mit FRITZ. Danach war ich so gut präpariert, dass … Nun, schauen wir uns zuerst mal die Eröffnung an. 1.c4 Sf6 2.Sc3 g6 3.d4 Lg7 4.e4 d6 Königsindisch 5.f3 Sämisch-Variante 5…0-0 6.Le3 e5 7.d5 Sh5 8.Dd2 Dh4+ 9.g3 Sxg3 10.Df2 10.Lf2? Sxf1!-+ 10…Sxf1 11.Dxh4 Sxe3

Diese Stellung ist menschlich schwer einzuschätzen. Schwarz besitzt, wenn er noch den c4-Bauern schlägt, 2 Läufer + 2 Bauern für die Dame; also materiell fast ausgeglichen. Auf die genauen Pläne für Weiss und für Schwarz werde ich nicht eingehen, da sie nichts mit unserem Thema zu tun haben.
Aber die Stellung ist optimal für eine Computeranalyse geeignet. 12.Df2! 1. Computerzug 12…Sxc4 13.De2 2. Computerzug 13…Sb6 14.Sb5! 3. Computerzug (Vielleicht bewerten modernere Schachprogramme die Züge leicht anders, aber 2003 waren sie 1. Wahl.) 14…Sa6 15.Tc1 4. Computerzug 15…Ld7 16.h4 5. Computerzug. Den Rest musste ich dann alleine finden. Von ein paar Computer-Ideen konnte allerdings noch profitieren. 16…Lh6 17.Tc2 c6 18.dxc6 bxc6 19.Sxd6 Sb4

20.Td2! Aus meiner Analyse wusste ich, dass ich die Qualität gegen den schwarzfeldrigen Läufer immer geben kann. Insofern war es leicht diesen Zug zu finden. 20…Sxa2 21.h5 Kg7 22.hxg6 Nimmt Schwarz gleich auf g6 zurück, opfere ich die Qualität auf h6; diesmal mit dem anderen Turm. 22…Lxd2+ 23.Dxd2 hxg6 24.b3 reicht zum Gewinn. Stärker war 24.Dg5! 24…a5 25.Dxa2 a4 26.Db2 f6 27.bxa4 Sxa4 28.Dd2 g5 29.Se2 Tab8 30.Dc2 Sb2 31.Sg3 c5 32.Sgf5+ Lxf5 33.Sxf5+ Kg8 34.Th6 Tf7 35.Tg6+ Kh8 36.Dh2+ Th7

37.Sh6!! Nur nicht 37.Th6?? Sd3+ 38.Kd2 Tb2+ 39.Kxd3 Txh2 mit guten Gewinnchancen für Schwarz. 37…Sd3+ 38.Kd2 Tf8 Schwarz sollte noch 38…Tb2+ probieren. 39.Kxd3?? würde die Partie nämlich noch wegschmeissen. (39.Ke3 Txh2 40.Tg8# war natürlich die mit 37.Sh6 eingeleitete Idee.) 39…Td7+! 40.Kc3 Txh2. 39.Kxd3 Td7+ 40.Kc3 Kh7 41.Dh5 1-0

3. Musterpartien

Bakalar,Jan (2068) – Herbold,Manfred (2140) [C06]
Litomysl op Litomysl (9), 02.01.2005

Von meinem Gegner wusste ich, dass er gegen Französisch die Hauptvariante mit 3.Sd2 spielt. Ich suchte in der Datenbank nach Musterpartien. In die Suchmaske gab ich die Stellung nach dem 12. Zug ein, dass ich nur Gewinnpartien für Schwarz möchte, ein Spieler müsste mindestens 2600 ELO besitzen und grenzte den Zeitraum auf die letzen 10 Jahre ein. Es sprangen mir etwas mehr als eine handvoll Partien entgegen, was mir völlig ausreichte. Sind es zu wenig oder zuviel Partien, kann man an den o.g. Parametern natürlich zu- oder abgeben.

Beim Nachspielen der Grossmeisterpartien lernte ich in kürzester Zeit viele interessante Fortsetzungsmöglichkeiten, Opferideen und Figurenmanöver kennen, die ich am Brett vermutlich überhaupt nicht oder nur mit viel Bedenkzeit gefunden hätte. Schauen wir uns an, was dabei herausgekommen ist.

1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sd2 Sf6 4.e5 Sfd7 5.Ld3 c5 6.c3 Sc6 7.Se2 cxd4 8.cxd4 f6 9.exf6 Sxf6 10.0-0 Ld6 11.Sf3 Dc7 12.Lg5 0-0

13.Tc1 h6 14.Lh4 Sh5 15.Lg3 Sxg3 16.fxg3!? Ein ungewöhnlicher Zug, der aber auch seine Stärken hat. So ist z.B. das Spiel des Schwarzen auf der f-Linie vollständig neutralisiert.

16…g5 Aus einer Kortschnoi-Partie hatte ich die Idee mit g7-g5 nebst Dc7-g7 „geklaut“. 17.a3 Dg7 18.Dd2 Ld7 19.b4 a6 19…g4! 20.De3 Tae8 21.Lc2

21…Lb8! mit der Idee Lb8-a7 und e6-e5. 22.h4 g4 23.Sh2 La7 24.Kh1 Sxd4 25.Sf4 Weiss will mit Sf4-h5 Ärger machen.

25…Sf5!! 26.Dxa7 Sxg3+ 27.Kg1 Txf4 28.Txf4 Se2+ 29.Kh1 Sxf4 30.De3 Auf 30.Dxb7 hatte ich 30…Se2 geplant. Der Witz ist, dass Weiss nun auf das Matt mit Se2-g3+ und Dg7-d4# aufpassen muss. 30…e5 31.g3 Lc6 32.Le4? Verzweiflung, denn die Partie ist bereits entschieden. 32…dxe4 33.gxf4 exf4 34.Dxf4 e3+ 35.Kg1 e2 36.Te1 Lf3 36…Dc3!! FRITZ 37.Kf2? Tf8! 38.Dd6 g3+ 39.Kg1 gxh2+ 40.Kxh2 0-1

Kommentare

4 Antworten zu “Manfred Herbold über seine Art sich auf Gegner vorzubereiten”

  1. Martin am 01. Oktober 2008, 14:40

    Ich habe Trick Nr.1 (D82; 7.e4!) gleich mal im Blitz ausprobiert, und sofort der erste Versuch klappte grandios (es kam 7…dxc4). Super Tip, danke!

  2. Manfred Herbold am 01. Oktober 2008, 17:29

    Hallo Martin,

    gern geschehen!

    Beim Schachtherapeuten werden Sie geholfen. 🙂

  3. Walter am 02. Oktober 2008, 15:46

    Nach 6. … Sc6 [D82], was eigentlich jeder >2000 Gruenfeld Spieler gegenueber Lc6 bevorzugen sollte, ist allerdings der Ofen schon ziemlich aus: NIC gibt 28.5 %. Dergleichen „giftige“ Nebenvarianten sind immer ein Spiel mit dem Feuer und nur gut gegen „Buchspieler“, die nicht die Eroeffnung an sich drauf haben, sondern nur die Zuege auswendig koennen … (solche haben aber in der Regel <2000, zumindest nach meiner Erfahrung).

  4. Manfred Herbold am 04. Oktober 2008, 17:08

    Hallo Walter,

    so zweischneidig würde ich die Stellung nach dem richtigen 6….Sc6! nicht bewerten.
    Z.B.
    6…, Sc6! 7.e3 (7.Dxb7 ist nicht zu empfehlen), Sa5 8.Db4, Sxc4 (8-¦c5 9.dxc5, Sc6 10.Da3, e5 11.Lg5, d4 12.Se4 mit interessantem Mittelspiel.) 9.Lxc4, dxc4 10.Dxc4 und die weisse Stellung ist bei bisher bestem schwarzen Spiel nicht schlechter.
    Oder?!

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