Es wird endlich Zeit dem Namen meines Blogs gerecht zu werden. Dies ist der Beginn einer neuen Reihe, die sich dem Faktor Entwicklungsvorsprung in der Eröffnung dezidiert widmen wird. In regelmässigem Abstand werde ich ausgewählte Partien vorstellen, in denen die schnelle Figurenentwicklung partieentscheidend war. Den Anfang mache ich mit meiner „Unsterblichen“. Gespielt habe ich diese Partie in der ersten Runde der Europäischen Vereinsmeisterschaft 2003 in Rethymno auf Kreta.

Gagunashvili,Merab (2577) – Souleidis,Georgios (2382) [D07]
ECC Crete (1), 28.09.2003

1.d4 d5 2.c4 Sc6

Diagramm 1

Die Tschigorin-Verteidigung. Eine giftige Eröffnung, wie der Supergrossmeister Alexander Morozevich vielfach bewiesen hat. 3.cxd5 Dxd5 4.e3 e5 5.Sc3 Lb4 6.Ld2 Lxc3 7.bxc3 Sf6 8.f3 0-0 9.e4 [9.Ld3 exd4 10.cxd4 Sxd4! 11.exd4 Dxd4 mit Kompensation [Dautov]] 9…Dd6 10.Le3

Diagramm 2

[Für mich war die Stellung absolutes Neuland. Ich hatte nur den Hauptzug 10.d5 kurz überflogen und alles was jetzt kam, fand ich am Brett.] 10…exd4!N Schwarz versucht seinen Entwicklungsvorsprung radikal zu nutzen. Er überlässt dem Weissen das Zentrum, öffnet aber die zentralen Linien, um angreifen zu können. [10…Sa5 11.Ld3 c5 12.Se2 Sc6 13.d5 Sa5 14.c4 b6 15.0-0 De7 16.Ld2 Sb7 17.Sc3 Sd6 18.g3 Sd7 19.De2 La6 20.a4 Kh8 21.f4 führte in Popow-Dubinsky, Smolensk 1997 zu einer etwas besseren Stellung für Weiss] 11.cxd4 Te8

Diagramm 3

12.Dd2 [12.Kf2? Txe4! 13.fxe4 (13.d5 Se5 14.fxe4 Sxe4+ 15.Ke1 Db4+ 16.Ld2 Dd4-+) 13…Sxe4+ 14.Ke1 (14.Kf3 Dd5-+) 14…Db4+ 15.Ld2 Dxd4-+;
12.Se2!? Vielleicht das Beste. Danach hätte es Schwarz nicht so leicht gehabt einen starken Angriff zu inszenieren. 12…Lf5 (12…Sxe4!? 13.fxe4 Txe4 14.Dd2 Ld7! (14…Lg4? 15.Tc1? (15.Sc3!) 15…Tae8 16.Tc3 Sb4-+ ist eine fehlerhafte Variante von Bronznik.) 15.Sc3 Txe3+ 16.Dxe3 Te8 17.Se4 Dg6 (17…Dxd4 18.Dxd4 Sxd4 19.Ld3 Lf5 20.0-0-0 Lxe4 gibt Dautov in seinen Analysen für Chessbase an. Die Stellung befindet sich im Gleichgewicht.) 18.Ld3 Sb4 (18…f5!?) 19.0-0 Sxd3 20.Dxd3 Dxe4 21.Dxe4 Txe4 22.d5 c6 23.d6 Te6 24.Tad1 und der starke d-Bauer sichert Weiss Gegenspiel.) 13.Lf4 (13.e5 Dd7 ist klar besser für Schwarz.) 13…Db4+ 14.Kf2 (14.Ld2 De7 15.exf5 Sxd4 16.Kf2 Tad8 17.Tb1 Sd5! 18.f6 (18.Sxd4? Dh4+-+) 18…Dxf6 19.Da4 b5 20.Dxa7 Ta8 21.Dc5 (21.Lg5 Txa7 22.Lxf6 Sxe2 23.Lxe2 Sxf6) 21…Txa2 22.Td1 Te5!-+) 14…Sxe4+ 15.fxe4 Txe4 und es ist unklar, ob Schwarz hier genügend Kompensation besitzt.;
12.Tb1 Sxe4 13.fxe4 Txe4-š] 12…Lf5! Der Druck auf e4 wird maximal erhöht. 13.Le2 [13.exf5? Sd5-+;
13.Se2 Lxe4 14.fxe4 Sxe4 (Auch nach 14…Txe4 hätte Schwarz Kompensation gehabt.) 15.Db2 Sb4! mit starkem Angriff.] 13…Lxe4 14.fxe4 Sxe4 15.Db2 [15.Dd3? Sb4 ist unsinnig für Weiss.] 15…Sg3!?

Diagramm 4

[15…Sb4 wäre vielleicht stärker gewesen, wie Valeri Bronznik in seiner sehr empfehlenswerten Monographie über die Tschigorin-Verteidigung anmerkt, und gibt folgende Variante an: 16.Sf3 Sd5 17.Ld2 Sxd2 18.Kxd2 (18.Dxd2 Sf4 19.Sg1 Dc6-+) 18…Dh6+ 19.Kd1 (19.Ke1 Sf4 20.Se5 Sxe2 21.Kxe2 f6-+) 19…Se3+ 20.Ke1 Sxg2+ 21.Kf2 Sf4 „In dieser Variante stellt Schwarz das materielle Gleichgewicht wieder her und behält die Initiative.“ (Bronznik)] 16.hxg3 Txe3 17.0-0-0 [17.Td1 wäre zäher gewesen, doch wer belässt den König freiwillig im Zentrum? 17…Tae8 18.Kf1 und die Sache wäre spannend geworden.] 17…Sb4! mit der Drohung 18…Tc3+! 18.Lc4 [18.Sf3? Tc3+! 19.Kb1 (19.Kd2 Tc2+ 20.Dxc2 Sxc2 21.Kxc2 De6-+) 19…Dg6+ 20.Ka1 Sc2+ 21.Kb1 Sxd4+ 22.Ka1 Sc2+ 23.Kb1 Se3+ 24.Ka1 Sxd1 mit klar besserer Stellung für Schwarz.] 18…b5!

Diagramm 5

Schwarz lässt nicht locker 19.Lxf7+? und Weiss bricht direkt ein. [19.Lb3 a5!

Diagramm 6

bis hierhin hatte ich gerechnet und gesehen, dass Weiss den Angriff am Damenflügel kaum überleben wird: (19…Sd3+? 20.Txd3 Txd3 21.Sf3 und die Drohung 21.Se5 hätte Schwarz vor unlösbaren Problemen gestellt.; 19…Tae8 [Bronznik] hätte Schwarz höchstens Kompensation gegeben.) 20.Kb1 a) Nach 20.Df2? hätten sich die schönsten Varianten ergeben: 20…Dc6+! 21.Kb2 (21.Kb1 Txb3+! 22.axb3 a4 23.d5 Dg6+ 24.Kb2 axb3! 25.Kxb3 Da6!-+) 21…Txb3+! 22.axb3 (22.Kxb3 Dc4+ 23.Kb2 Dxa2+ 24.Kc1 Dxf2-+) 22…a4! Weiss hat einen Turm mehr, ist aber vollkommen verloren. 23.Dd2 (23.d5 a3+ 24.Kb1 a2+ 25.Kb2 (25.Dxa2 Dg6+-+) 25…Sd3+!-+) 23…axb3!! 24.Ta1 Txa1 25.Kxa1 Da8+ 26.Kb1 Sc2! 27.Dc3 Da2+ 28.Kc1 Se1!-+

Diagramm 7

Tolle Stellung! Gegen die Drohung 29…b2+ kann Weiss nichts ausrichten.;
b) 20.Sf3 a4 21.Lc2 Tc3! 22.Se1 a3 23.Da1 Dd5! 24.Kb1 Dc4 25.Td2 Sxc2 26.Sxc2 (26.Txc2 b4 27.Txc3 bxc3 28.Sc2 Dd3!-+) 26…b4-+; 20…a4 21.Lc2 g6 22.Ka1 a3 23.Db1 c5 24.Sf3 Te2 25.Tc1 cxd4-+;
19.Lxb5? Tc3+ 20.Kb1 Dg6+-+] 19…Kxf7 20.Df2+

Diagramm 8

Df6 [20…Kg8! Schade, dieser Zug hätte die Partie direkt entschieden, da Weiss den Turm auf e3 nicht schlagen darf. 21.Dxe3 Dc6+ 22.Kd2 Dc2+ 23.Ke1 Dxg2 24.De6+ Kh8 25.Txh7+ Kxh7 26.Dh3+ Dxh3 27.Sxh3 Sxa2-+] 21.Dxf6+ [21.Dxe3? Dc6+ 22.Kd2 (oder 22.Kb2 Dc2+ 23.Ka3 Da4+ 24.Kb2 Dxa2+ 25.Kc3 Dc2+ 26.Kxb4 a5+ 27.Kxb5 Tb8+ 28.Ka6 Dc6+ 29.Kxa5 Db5#) 22…Dc2+ 23.Ke1 Te8-+] 21…Kxf6 22.Tf1+ Kg6 23.Sf3 h6! 24.Sh4+ Kh7 25.Tf7 Txg3 26.Txc7 [26.Sf5 Txg2 27.Txc7 Sd5!-+] 26…Tf8! Aktiviert auch den zweiten Turm und lässt Weiss keine Chance. 27.Txa7 Tf2 28.Kb1 Sd5 29.Ka1 b4 30.Ta5 Ta3! 0-1

Diagramm 9

Wahrscheinlich die beste Partie, die ich je gespielt habe. 10.Le3 wird der Weisse wohl ad acta legen müssen.

Am Abend wurde ich von meinen griechischen Freunden gefeiert und die GM-Norm war beschlossene Sache. Ich wusste es besser, doch dass ich kein Bein mehr auf die Erde bringen würde, wäre mir nicht in den Sinn gekommen. Bis zum Ende des Turniers gelang mir kein weiterer Sieg, obwohl ich teilweise auf weitaus schwächere Gegner traf. Zumindest entschädigte diese Glanzpartie für magere 2,5 aus 7.

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