So, obwohl die Einsendungen in immer längerem Abstand erfolgen, scheint diese Serie kein Ende zu finden. Ein lieber Bekannter aus Hamburg, der Andi Albers, schickte mir gleich drei seiner geistigen Ergüsse und ein prominentes Beispiel. Eines besser als das Andere.


Albers,Andreas (2046) – Barlage,Tonio (1889)
HSK Elo-Turnier 2003

Stellung nach 64…Le4:

Diagramm 1

In meinen noch ehrgeizigen Zeiten hatte ich mir nach schlechten Turnierstart diese Stellung erarbeitet. Glücklicherweise kann ich mich mit einiger Zeitnot herrausreden, aber meine Idee gefällt mir doch immer noch sehr: 65.Lc4 um endlich mal den e-Bauern zu mobilisieren und dem ganzen Spuk schnell ein Ende zu machen. Gesagt getan… 65…Kb7 66.e6?? Mein Gegner, ebenfalls in Zeitnot stutzte und meinte: „Na dann!“ und gab ein Racheschach! 66…Lc6# Diese Katastrophe ist nun schon fast 5 Jahre her und ich hatte sie erfolgreich verdrängt. Nun habe ich vor einigen Wochen das hervorragende neue Buch „How to play Chess Endgames“ der Hamburger Trainer Karsten Müller und Wolfgang Pajeken in die Hand bekommen. Dort holte mich meine Geschichte sehr prominent wieder ein: 0-1

Short,Nigel D (2685) – Beliavsky,Alexander G (2620)
Linares 10th Linares, 1992

Müller/Pajeken bringen dieses Schmuckstück unter dem Kapitel „Activity“ als Beispiel dafür, dass man es auch übertreiben kann. Hätte ich diese Partie schon 2003 gekannt, wer weiss…. 56.b5 Lb7 57.Sd5 f6+ und nun der Hammer:

Diagramm 6

58.Ke6?? Lc8# schade 0-1

Szudra,Heinz Werner (2065) – Albers,Andreas (2035)
Stadtliga B: St. Pauli 2 – HSK 7, 23.01.2007

Stellung nach 43…Dc1:

Diagramm 2

Wenn man im Galopp auf 30 zugeht beginnt man sich allmählich Sorgen um seinen Geisteszustand zu machen. Die ersten grauen Haare in der Rocker-Matte, die ersten Vergesslichkeiten. Aber noch kann man alles gut entschuldigen. Und dennoch es gibt solche Momente in denen man ernsthaft ins Grübeln kommt. Folgende Stellung ergab sich in einem Mannschaftskampf am gefürchteten Millerntorstadion des FC St. Pauli. Eine gute Stellung in Zeitnot weggeschmissen, ich hatte gerade Dc1 gezogen und folgenden Gedankengang: Wenn mein Gegner anfängt Sxh6 oder auch Sxe5 zu spielen und mich erstickt matt setzt, dann überlege ich mir noch mal, ob ich den Fans das zeige oder ich gleich das Handtuch werfe. Mein Gegner überlegte einige Zeit mit viel Zuversicht im Gesicht und schockte mich mit: 44.Sg5+?? Ich habe mal in einer bekannten deutschen Schachzeitung das Kommentierungszeichen „!!??“ gesehen, leider kann ich es trotz neuester Chessbase-Version nicht finden…..
Kommentiert wurde das Zeichen mit: „Die Fragezeichen für den objektiven Wert und die Ruffezeichen für die psychologische Wirkung!“
Tja, das es so schnell matt wird hatt ich nicht gesehen, jetzt Kh8 und Dh7 ist doch zu einfach. Also: ein schöner Moment zum aufgeben! 44.Sg5+?? Mein Mitspieler und Supertaktiker Jamshid Atri tippte mir auf die Schulter: „Wieso nicht schlagen?“ Das sind so Fragen! Mein Gegner und ich fielen aus allen Wolken fanden allerdings schnell das Lachen wieder, als Mannschaftsführerin Evi Zickelbein tröstete: „Andi ist egal, dann steht es jetzt halt 6-2 für uns!“ Puh noch mal gut gegangen, aber die erste Begegnung mit der Demenz war doch unangenehm, ich schwor mir, so was passiert Dir nie wieder! 44…Dxc4-+;
44.Sxe5+ Kh8 45.Sg6+ Kh7 46.Sf8+ Kh8 47.Dh7#;
44.Sxh6+ Kh8 45.Dc8+ Kh7 46.Lg8+ Kxh6 47.De6+ Kg5 48.Df5+ Kh6 49.Dh7+ Kg5 50.Dxg7# 1-0

Albers,Andreas (1886) – Groetzbach,Jürgen (1645)
Bezirksliga D: Sasel – HSK 15, 08.01.2008

Knapp ein Jahr später die folgende Begebenheit. In einer spannenden und unterhaltsamen Partie hatten wir uns beide wenig geschenkt. Ich war topmotiviert, mein Gegner ist Vater zweier unser grössten Jugendtalente und denen wollte ich natürlich eine schöne Kampfpartie präsentieren. Die Sache war aber irgendwie nach hinten losgegangen und ausser Kampf konnte ich nicht mehr viel Stolzes zeigen.

Diagramm 3

39.Db6+ Lc6 40.Tf2 So, die Zeitkontrolle war in den letzten Sekunden geschafft. Ich stand auf, wischte mir den Schweiss von der Stirn und beobachtete die anderen Bretter. Plötzlich hatte ich eine Eingebung: Was, wenn er jetzt die Dame opfert? Toll, dann ist sofort Dauerschach!
Mein Gegner grübelte und wurde immer nervöser. Man sah ihm das Damenopfer förmlich an und er prüfte es wieder und wieder, weil man ja auch nichts falsch machen will. Dann: 40…Dxg2+

Diagramm 3

und ein Remisangebot! Ich wunderte mich „Ist ja komisch, er hat Dauerschach, dann braucht er ja auch nicht anzubieten!“ Okay, ich tue mal so, als hätte ich eine Alternative und bringe ihn noch ein wenig ins schwitzen. Aber die Maus beisst keinen Faden ab, Dauerschach ist Dauerschach, was soll man tun. Also gut, das abzulehnen und dann 3 Züge später zustimmen zu müssen ist albern. Remis, wir lobten uns beide für unsere tolle Partie und wandten uns der Analyse zu. Als wir dort zu dieser Stelle kamen kam das Ergebnis, das mein Team 3,5-4,5 verloren hatte, schade, das war knapp. Und dann verstummten wir plötzlich beide ungläubig über dieser Position. Gibts denn das? 40…Dxg2+?? 41.Txg2 Txg2+ 42.Kh1 Tg6+ Ist die Dauerschachschaukel, die wir beide gesehen hatten. Aber oh weh! Der Läufer c6 hängt! (42…Tc2+ funktioniert gar nicht, jetzt kommt der König einfach über die g-Linie raus.) 43.Dxc6++- Unfassbar und erneut mein Schwur nie wieder eine Partie zu früh zu beenden! Wer weiss wie lange es hält;-) ½-½

Natürlich werden Einsendungen weiterhin gerne entgegengenommen. Das Spiel kann man ja wirklich lange fortsetzen.

Kommentare

2 Antworten zu “Die Gurke meiner Karriere (11)”

  1. Eva Maria Zickelbein am 12. April 2008, 21:19

    Andi, mach Dir nichts draus…! Dein Sieg für HSK 8 am Donnerstag reisst doch alles wieder raus!
    Liebe Grüsse, Evi

  2. Felix Meissner am 11. Januar 2009, 21:36

    Auch wenn ich diese Gurken erst jetzt gefunden habe finde ich es atemberaubend 😉

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