Dritter und letzter Teil der Odyssee unseres Helden.

18.08. Turniersaal

Komme rechtzeitig im Turniersaal an. Durch meine Voranmeldung habe ich ein wenig Zeit, um die Location zu begutachten. Stelle mit Erschrecken fest, dass die Biertische immer noch im Saal stehen. Diesmal allerdings gefüllt mit Schachbrettern. Stelle fest, dass das Spielen auf den Biertischen eine Herausforderung sein wird. Reihe 1,2 und 7 und 8 ragen am Tischrand hinaus. Somit besteht keine Möglichkeit der Notation. Links und rechts vom Brett ist gerade soviel Platz, um eine Schachuhr zu deponieren. Wenn ich Glück habe, passt meine Wasserflasche ebenfalls auf dieses freie Stück Tisch.

Auslosung ist erfolgt. Ärgere mich zu Tode, da ich nun den Beweis habe, dass mich der belgische Schachfreund gestern nicht verstanden hat. Anstatt meiner TWZ von 2135 bin ich mit 1235 gemeldet. Spiele nun ganz unten an den Kids-Tischen. Neben dem nicht vorhandenen Platz – ähnlich wie bei den Biertischen – misst die Tischhöhe 50 cm. Passend zu der Tischhöhe sind auch die Stühle.

In der ersten Runde spiele ich gegen Olga Ranzelowa. Spielstärke 1842 TWZ. Da ich soweit in den unteren Bereich der Turniertabelle gelost worden bin, ergibt sich wahrscheinlich für mich ein Losvorteil. Setze mich ans Brett und begrüße meine Tischnachbarn Kevin und Thorben – sowie deren Eltern. Stelle meine Schachfiguren – an denen wohl noch geblitzt wurde – richtig auf und bemerke, dass die Figuren aus vier verschiedenen Schachsätzen stammen. Muss mich daran gewöhnen, dass meine Dame wohl aus einem Reiseschach stammt und wesentlich kleiner ist als alle sonstigen Figuren auf dem Brett.

Nehme zur Kenntnis, dass meine Gegnerin ans Brett kommt. Olga schüttelt mir kurz die Hand und gibt mir indirekt zu verstehen, dass sich Turniere mit meiner Schachstärke nicht lohnen. Ich habe das Gefühl, dass mein Gegenüber mir zu verstehen gibt, das 1235 TWZ in meinem Alter schon ein Art Lernbehinderung darstellt. Ich koche und spüre wie das Blut in meinem rechten Zeh zu pochen anfängt. Ad Hoc entschließe ich mich dazu, der Schachfreundin eine Lektion zu erteilen.

Das Turnier hat begonnen. Rechts und links von mir ist eine Geräuschkulisse wie im Schwimmbad. Thorben und Kevin scheinen das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom zu haben und hampeln nach jedem Zug auf ihren Stühlen rum. Ich bemerke, dass Olga mit den Kindern echte Schwierigkeiten hat. In mir macht sich ein inneres teuflisches Lächeln breit. Olga´s Konzentrationsschwierigkeiten sind wie Balsam auf meine Seele.

Habe soeben 7… Da5 gezogen. Meine Spielpartnerin bemerkt nun, dass meine Dame nicht nur wesentlicher kleiner ist als alle anderen Figuren auf dem Brett, sondern auch dass neben dem Schach auch die Figur auf e5 hängt. Ich meine gesehen zu haben, wie bei Olga eine Ader im Auge geplatzt ist. Gehe davon aus, dass der Blutdruck bei der – eigentlich – hübschen Dame eine ungesunde Benchmark erreicht hat. Habe einen inneren Reichsparteitag und lache mir ein Loch in den Bauch!

Olga hat soeben einen Schiedsrichter konsultiert und beschwert sich, dass meine Dame – aufgrund Ihrer Größe – ein Regelverstoß darstellt. Des Weiteren gibt Sie zum Besten, dass die Kinder nicht die erforderliche Turnierruhe einhalten. Mein inneres Grinsen wird immer größer. Der Schiedsrichter fragt mich, wie ich die Situation einschätze. Ich sage zum Schiedsrichter, dass die Kinder kein Problem darstellen und meine schwarze Dame zwar sehr klein ist, allerdings der Zug von d8 nach a5 dem internationalen Zugrecht entspricht. Als Kommentar vermerke ich noch, dass die Gegnerin wahrscheinlich die Eröffnung nicht kennt. Ich merke wie mir Hörner auf der Stirn wachsen. Hatte lange nicht mehr soviel Genugtuung wie jetzt.

Olga spielt mit rotem Kopf und einer Minderfigur weiter. Starte einen Königsangriff und merke wie mein Gegner ungläubig über meine Spielstärke nachdenkt. Kevin haut beim Hampeln meine Flasche Wasser um. Ich habe das Gefühl, dass mein Gegenüber gleich Amok läuft. Kurze Zeit später setze ich Olga mit einem Turmopfer matt. Bin der festen Überzeugung, dass sie dieses Spiel über Jahrzehnte nicht vergessen wird.

Habe wieder Lust auf das Turnier und alle Schmerzen sind vergangen.

Bernard Verfürden

Kommentare

5 Antworten zu “Tagebuch eines Schachspielers (3)”

  1. Papermoon am 17. September 2009, 12:56

    Superklasse! Bitte mehr davon!

  2. MiBu am 17. September 2009, 15:23

    Ja doch, das war der am wenigsten schwache Teil der drei. Allerdings muss mehr davon wirklich nicht sein.

  3. Georgios Souleidis am 17. September 2009, 16:53

    Geil wie unterschiedlich die Meinungen sind 🙂
    Ob mehr davon kommt, hängt ganz allein davon ab, ob Bernard Lust hat etwas zu schreiben oder nicht.

  4. DeepDirt am 18. September 2009, 08:57

    Den 3. Teil fand ich recht gut, die ersten beiden Teile bestenfalls Kategorie „geht so“.

    Teil III erinnerte mich schon fast an alte DeepChess-Zeiten…

  5. Chessdaniel am 24. September 2009, 11:20

    Habe dieses Mal wirklich mehrfach lachen müssen. Während Teil 1 und 2 maximal skurril sind, finde ich die Beschreibung des Turniersaals und des Spiels köstlich. Davon gerne mehr.

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