Bloggen im Iran

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Radikal-islamische Mullahs mit langen Bärten, fanatische Mobs, die amerikanische Flaggen verbrennen, ein tollwütiger Präsident, der den Holocaust leugnet und die Atombombe als Endlösung herbeisehnt. Das sind die Bilder, die uns mehrheitlich von den Massenmedien über den Iran vermittelt werden.

Dies ist nur ein unzulänglicher Ausschnitt einer Nation im Widerspruch. Im Widerspruch weil unter der oktroyierten Ideologie eine Gesellschaft heranwächst, die nichts, aber auch gar nichts mit der machtbesessenen und sich in der absoluten Minderheit befindlichen geistlichen Führung gemeinsam hat.

1951 wurde Dr. Mohammad Mossadegh nach demokratischen Wahlen zum Ministerpräsidenten gewählt. Er wollte die bis dato unter angloamerikanischer Kontrolle gehaltene Ölförderung verstaatlichen, um das iranische Volk endlich am Reichtum teilhaben zu lassen. Dieser Plan konterkarierte die britischen und amerikanischen Interessen, was einen von den Briten und der CIA eingefädelten Staatsstreich (Operation Ajax) zur Folge hatte. Statt den Wandel zur Demokratie zu unterstützen, infiltrierten sie das System und hoben Reza Schah Pahlavi an die Macht. Unter seinem korrupten und brutalen Marionettenregime litt das Land gute zwei Jahrzehnte lang. Bis 1979.

Es kam, wie es kommen musste, da jede Diktatur auch mal ein Ende findet, die islamische Revolution. Unter der Führung Ayatollah Chomeinis, der sich bescheiden als „Vertreter Gottes auf Erden“ bezeichnete, wurde der Schah militärisch abgesetzt und sukzessive ein theokratischer Staat aufgebaut. Politische Gegner wurden dabei nach und nach „aussortiert“, aber des verhassten Diktators Pahlavi überdrüssig, war die Bevölkerung froh über jeden Wechsel an der Macht. Der erste Golfkrieg tat sein Übriges.

Ihre Herrschaft zementierten die religiösen Hardliner durch die Installierung des Wächterrats, der Sittenpolizei, der Hisbollah und der Besetzung aller wichtigen Ämter in der Justiz und den Medien. Diese Herrschaft üben sie auf diese Weise bis heute noch aus. Hinzu kamen und kommen regelmässig massenweise Hinrichtungen politisch Andersdenkender, der Ausschluss unliebsamer Kandidaten von den Parlamentswahlen, das Verbot der Presse- und Meinungsfreiheit und, und, und.

Trotz dieser Restriktionen gab und gibt es unzählige Personen aus allen Gesellschaftsschichten und in unterschiedlichen Positionen, die sich gegen das Gottesregime auflehnen und damit ihr Leben riskieren. An dieser Stelle sei nur an die Juristin und Menschenrechtsaktivistin Schirin Ebadi erinnert, die 2003 als erste moslemische Frau den Friedensnobelpreis verliehen bekam.

2001 markierte einen kleinen aber hoffnungsvollen Wendepunkt. Der nach Kanada geflohene Journalist Hossein Derakhsahn stellte als erster Iraner sein Weblog ins Netz. Gleichzeitig lieferte er eine Anleitung auf Farsi, um seinen Landsleuten die Installation eines Weblogs zu ermöglichen und es ihm gleich zu tun. Die Reaktionen waren überwältigend und die iranische Weblog-Szene war geboren.

Basis des exzessiven Gebrauchs dieses Mediums war und ist das Verlangen seine Stimme gegenüber den Herrschenden zu erheben. Paradoxerweise hatten die intensive Bildungspolitik und die Alphabetisierungskampagne der Mullahs zu einer gebildeten und politisch engagierten Jugend beigetragen. Dieser Umstand erlangt weiteres Gewicht ob der Tatsache, dass 70 % der Iraner jünger als 30 Jahre ist. Dieses geballte Potential konnte lange medientechnisch kontrolliert werden und Willenserklärungen gegen das Regime wurden nur innerhalb des privaten Bereichs oder geschützter Umgebungen vorgetragen.

Diesen Schutz bietet nun das Internet, welches als stark anwachsendes Kommunikationsmittel eine wichtige Rolle im Kampf des Iran um die Demokratie spielt und welches von der staatlichen Zensur nur unzureichend erfasst werden kann.

In ihrem Buch „Wir sind der Iran“ beschreibt Nasrin Alavi die Entwicklung der persischen Weblog-Szene und zitiert Nutzerzahlen, die auf Schätzungen der Weltbank und des NITLE Blog Census beruhen. Im Jahre 2001 gab es schon um die sieben Millionen Internetnutzer und im Jahr 2004 64.000 Weblogs. Da diese Zahlen aber nicht klar nachvollziehbar sind, sind sie mit Vorsicht zu geniessen. Einen neueren Einblick in diese Entwicklung erfährt man durch einen Bericht auf Spiegel-Online mit dem programmatischen Titel „Aufstand per Mausklick“.

Nasrin Alavi hat sich für das Buch die Mühe gemacht und unzählige Weblogs nach Beiträgen und Kommentaren durchforstet. Es ist eine faszinierende und tiefgründige Ansammlung von mehrheitlich politisch und gesellschaftlich motivierten Meinungsäusserungen entstanden. Sie stecken häufig ob der allgegenwärtigen Ohnmacht gegenüber dem Regime voller Zynismus, spiegeln aber auch gleichzeitig die Hoffnungen einer jungen geistigen Elite wider, die sich mit dem Status quo nicht abfinden möchte.

Exemplarisch sei nur ein Beitrag herausgegriffen, den ein Teilnehmer nach den tagelangen Studentenprotesten im Juni 2003 auf seinem Blog veröffentlichte:

Salaam, meine lieben, mitprotestierenden Studenten,

Nachdem unser Grosser Oberster Religionsführer kürzlich erklärt hat, die Demonstranten hätten von ausländischen Mächten Geld erhalten, um eine Revolution anzuzetteln, bitte ich hiermit den oder die Studenten, die für die Verwaltung der Spenden verantwortlich sind und über die 500 Millionen Dollar verfügen, die wir von den Vereinigten Staaten erhalten haben, meinen Anteil für die folgenden Dienstleistungen auf mein Bankkonto (Details beigefügt) zu überweisen:

Das Skandieren von ´Der Oberste Religionsführer ist ein Zuhälter!`: 110 Dollar
Das Skandieren von ´Das Volk lebt in Armut, aber Rafsandschani lebt wie ein Gott!`: 267 Dollar
Die Flucht vor der Bereitschaftspolizei: 77 Dollar 50 Cent
Die Beschimpfung eines Basij mit: `Deine Schwester ist eine Hure!`: 6 Dollar
Die Fahrtkosten zur Demonstration und zurück: 1 Dollar 10 Cent

Für den Fall, dass mein Anteil nicht auf meinem Konto eingehen sollte, verweigere ich hiermit alle zukünftigen Dienstleistungen dieser Art.

Eine aufgeklärte und gebildete Jugend, emanzipierte und in allen Teilbereichen des Lebens involvierte Frauen, eine Gesellschaft, die zu einem grossen Teil einen demokratischen Wandel herbeisehnt. Das ist ein viel realistischeres Bild des Iran.

Nasrin Alavi (2005): Wir sind der Iran. Aufstand gegen die Mullahs – die junge persische Weblog-Szene. Köln: Kiepenheuer & Witsch

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