Gut geblufft

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Vom 12. bis 15. Februar nahm ich am NordWest-Cup in Bad Zwischenahn zum ersten Mal teil ((NordWest-Cup)). Drei nette Bekannte hatten mich zu diesem Trip überredet. Wir quartierten uns in einer Ferienwohnung, kauften für drei Tage Futter bei Aldi ein und spielten den ganzen Tag Schach. Abends wurde die Zeit mit Dummquatschen und Hartstoff überbrückt. O.k. ich hielt mich zurück, denn ich wollte nicht schon wieder bei einem doppelrundigen Turnier Elo verlieren. Dank einiger Glücksmomente gelang mir dieses Vorhaben. Am Ende war ich mit dem fünften Platz und dem Gewinn einiger „Weltranglistenpunkte“ absolut zufrieden, insbesondere da das Wochenende mit den Jungs aus Düsseldorf-Oberbilk sehr kurzweilig war.

In den ersten drei Runden war ich noch voller Frische und setzte mich gegen meine nominell schlechteren Gegner erwartungsgemäß durch. Ab der vierten Runde spürte ich aber schon die kaum zu vermeidende Müdigkeit, die auch durch meinen schnarchenden Bettgenossen verursacht wurde, und fing an die Glückskomponente etwas über zu strapazieren.

Hedke,Fred (2302) – Souleidis,Georgios (2427)
Open Bad Zwischenahn (4), 14.02.2009

Stellung nach 33.Ta7:

Ich hatte meine vormals schöne Stellung verdorben und den Bauern auf a6 plump eingestellt. 33…Tbf8? Reiner Bluff. Weiß hat zwar einen Bauern mehr, aber nach 33…Ld6! wäre die Stellung unklar gewesen. 34.Tf3? Weiß hätte den Bauern auf b7 nehmen und gewinnen können: 34.Dxb7! f3 (34…Lxg4? 35.hxg4 Dxg4 36.Dd5+-) 35.Txf3 Txf3 36.Lxf3 Txf3 37.Dxc7 Dxc7 38.Txc7 Txd3 39.Lg5+- 34…Lb8 Jetzt war die Stellung wieder unklar, da u.a. der Turm auf a8 eingesperrt ist, und ich gewann nach vielen Verwicklungen kurz vor Ende der zweiten Zeitkontrolle nach 72. Zügen.

In den Pausen zwischen den Runden, die für mich allerdings recht kurz waren, da ich fast immer über die volle Distanz ging, machten wir uns einen Spaß und gaben einzelnen Spielern Spitznamen, so wie man das von den Amerikanern kennt. Für meinen Gegner aus der fünften Runde, gegen den ich am Spitzenbrett antrat, hatten wir uns ob seines furchteinflößenden Äußeren den Namen „Braveheart“ ausgedacht. Dass dieser Spitzname für Gerlef aber gilt, wenn er am Brett agiert, bewies er mir in eindrucksvoller Manier:

Meins,Gerlef (2470) – Souleidis,Georgios (2427)
Open Bad Zwischenahn (5), 14.02.2009

Stellung nach 17…Ld7:

Weiß hat dank seines Raumvorteils ein schönes Plus. 18.Se5!? Sieht nett aus, droht aber gar nichts. Ich ließ mich leichtfertig dazu hinreißen den Gaul zu schlagen. 18…dxe5? 18…Dc8! 19.Sxd7 (19.h3!? dxe5 20.fxe5 Sh5 21.Le2 mit harten Komplikationen ist interessant.) 19…Dxd7 mit leicht besserer Stellung für Weiß. 19.fxe5

19…h6?? Darauf beruhte das Schlagen auf e5. Durch die „Drohung“ g5 ist Weiß gezwungen auf f6 zu nehmen, wonach sich das materielle Gleichgwewicht wieder herstellt. Dummerweise hatte ich mich vor dieser Abtauschaktion verzählt. 19…Se4 20.Txe4 Dc8 21.Te3 Txe5 22.Txe5 Lxe5 23.Te1 Lg7 24.Lc2± 20.exf6 Lxf6 21.Lxf6 21.Dxh6! war sogar möglich, was in der Tiefe nicht einfach zu sehen war: 21…Lxh4 22.Dxg6+ Kh8 23.Txe8+ Lxe8 (23…Dxe8 24.Dh6+ Kg8 25.Dxh4+-) 24.Dh6+ Kg8 25.Txf5+- und Schwarz geht im weißen Angriffswirbel unter. 21…Dxf6 22.Dxh6± Nach dieser einfachen Abwicklung hat Weiß einen Bauern mehr und gewann alsbald sicher. Ich ging, wie erwähnt, aber von materiellem Gleichgewicht aus.

Nachdem ich in der sechsten Runde nicht ohne reichliches Zutun meines Gegners gewonnen hatte, winkte bei einem Sieg in der letzten Runde der geteilte erste Platz. An Brett drei traf ich auf den bekannten Lev Gutman:

Gutman,Lev (2493) – Souleidis,Georgios (2427)
Open Bad Zwischenahn (7), 15.02.2009

Stellung nach 31.Kf2:

Hier rechnete ich an 31…La4 mit nachfolgendem Quallitätsopfer und war guten Mutes, da meine Bauern schon weit vorgerückt waren. 31…La4 32.f4 gxf4?! Stattdessen gab es zwei Möglichkeiten das Gleichgewicht zu wahren. 32…Lxc2!? 33.Td2 b3 34.axb3 cxb3 35.Txc2! bxc2 36.Lxa8 gxf4 37.Ld2 Sxc5 38.Ld5 a4 39.Ke2 f3+!=; 32…Tc8! 33.f5 Sxc5 34.Td5 Sb7 35.Td4 Sc5 wäre eine logische Remisfortsetzung gewesen, da Weiß nicht auf c4 nehmen darf: 36.Txc4? Se4+! 37.Txe4 Txc2+ 38.Kg1? Lc6!-+ 33.Lxa8 fxe3+ 34.Kxe3 Lxc2 Bis hierhin hatte ich bei 31…La4 gerechnet und sah keinen Zug, der für Weiß gewinnt. Da ich schon sehr müde war, ging ich nach dem Motto „Augen zu und durch“ vor. Vielleicht machen meine Bauern am Damenflügel ja das Rennen. Es hätte gut nach hinten losgehen können.

35.Td6?! 35.Tf1! Auf so einen Zug muss man erstmal kommen. Das scheint zu gewinnen für Weiß. 35…Sxc5 (35…b3? 36.Le4! Lxe4 37.Kxe4+-) 36.Ld5 b3 37.Txf7! bxa2 (37…Kh8 38.axb3 cxb3 39.Kd2+-) 38.Tf1+ Kg7 39.Ta1 a4 40.Txa2 Lb3 41.Ta1 Sd3 42.Kd4 Sb4 43.Le4 Kf6 44.h4+- 35…b3 36.axb3 cxb3

37.Txe6 Sichert das Remis durch Dauerschach, aber einen Gewinn gab es für beide Seiten an dieser Stelle nicht. 37.Tb6 a4 38.Ld5 Sxc5 39.Kd4 a3!? (39…Sd3 40.Tb7 Kh8 41.Kc3 Sf2 mit Gegenspiel) 40.Kxc5 a2 41.Ta6 Kg7 42.Lxb3 (42.Kb4 a1D! 43.Txa1 b2=) 42…Lxb3=; In der Partie hatte ich etwas Furcht vor 37.Kd2 aber nach 37…Sxc5 38.Ld5 Kg7 ist die Stellung unklar. 37…fxe6 38.c6 b2 39.c7 b1D 40.c8D+ Kf7 41.Dd7+ Kf6 42.Dd8+ Kf7 ½-½

Den Zuschauern wurde somit etwas geboten und mit dem Unentschieden war ich nicht unzufrieden. Somit Ende schön, alles schön. Ein nicht so gutes Ende nahm das Turnier für unseren mutigen Freund aus der fünften Runde. Nachdem Gerlef in der sechsten Runde dem Turnierfavoriten Andrey Sumets mit Schwarz ein Remis abnahm und in der letzen Runde gegen Ilja Schneider schnell den Punkt teilte, dachte ich, und das wäre verdient gewesen, dass er das Turnier gewonnen hätte. Doch wie so häufig kam das Roulettespiel „Buchholzwertung“ zum Tragen. Sumets gewann in der letzen Runde und überholte Gerlef noch und als ob das nicht genug gewesen wäre, Frank Zeller überholte ihn auch noch nach dieser meines Erachtens fragwürdigen Wertung. Mit fünf aus fünf gestartet, starke Gegner gehabt und trotzdem nur Dritter ((Tabelle NordWest-Cup 2009)). Ich kann Turnierveranstalter immer wieder nur ermutigen die Fortschrittswertung als ausschlaggebende Zweitwertung zu nehmen. Aus meiner Sicht die einzig faire Lösung, da es nur von einem selbst abhängt, wie diese am Ende ausfällt.

Kommentare

10 Antworten zu “Gut geblufft”

  1. Michael Buscher am 16. Februar 2009, 22:51

    Jawohl, völlig richtig, Buchholz ist Mumpitz. Gilt übrigens bei Schnellturnieren noch mehr; wie oft habe ich mich schon geärgert, wenn an Tisch 17 oder so zwei Patzer (Pardon! Politisch korrekt wäre hier wohl „unerfahrenere Spieler…) um mein Preisgeld spielen und es verzocken. (Einverstanden, sicher habe ich davon auch schon mal profitiert.) Vom Problem der Aussteiger und Kampflosen ganz zu schweigen. Also bitte, liebe Turnierveranstalter, die Fortschrittswertung sollte erste Wahl beim Tie-Break sein, genau, wie unser Blogger es fordert. Recht hat er!

  2. Hamburgs langweiligster Schachspieler am 16. Februar 2009, 23:59

    Ich erlaube mir, meinem Vorredner teilweise zu widersprechen:
    Wenn überhaupt, taugt Buchholz eher im Schnellschach etwas, weil dort praktisch keine Verzerrungen durch Aussteiger und kampflose Punkte auftreten. Grundsätzlich stimme ich aber zu, dass die Fortschrittswertung in den meisten Fällen gerechte Ergebnisse liefert (von Extremfällen wie „drei Spieler remisieren untereinander und gewinnen den Rest“ mal abgesehen) und auch der Gegnerschnitt im allgemeinen aussagekräftiger ist (selbst wenn man da mal das Pech haben kann, gegen einen unterbewerteten Überflieger zu spielen).

    Wie hat Gutman eigentlich nach der letzten Runde angesichts des verpassten Sieges reagiert?

  3. Georgios Souleidis am 17. Februar 2009, 09:18

    „Wie hat Gutman eigentlich nach der letzten Runde angesichts des verpassten Sieges reagiert?“

    Er führte ein Selbstgespräch auf Russisch.

  4. Felix Meißner am 17. Februar 2009, 11:50

    “Wie hat Gutman eigentlich nach der letzten Runde angesichts des verpassten Sieges reagiert?”

    Er führte ein Selbstgespräch auf Russisch.

    Wurde denn noch analysiert??? 😉

  5. Georgios Souleidis am 17. Februar 2009, 15:46

    Hi Felix,
    nein wir haben nicht mehr analysiert. Nach einer Schachpartie ist mir das auch recht, da ich meistens ziemlich platt bin.

  6. Ilja Schneider am 17. Februar 2009, 22:27

    Die Analyse anzubieten, würde unter diesen Umständen aber auch eher einer ziemlich harten Mutprobe gleichen…

    Dass die Buchholz-Wertung (besonders bei 7 Runden) nur eine bessere Lotterie darstellt, ist natürlich klar. Allerdings hätte ich zum bisher Gesagten trotzdem 2 Einwände:

    1. Keine der bisher praktizierten Alternativen scheint mir in vollem Maße angemessen zu sein. Dass die Fortschrittswertung in hohem Maße die höher gesetzten Spieler bevorteilt, die in einem Turnier bei normalem Verlauf später mit harten Aufgaben konfrontiert werden, ist ja wohl offensichtlich. Beim Elo-Schnitt als Zweitwertung herrscht bei der allgemein üblichen Win-Swiss Auslosung exakt das gegenteilige Problem, auch wenn es zumindest die stärkeren Spieler anstachelt, mehr zu kämpfen. Solche Probleme wie in Bad Zwischenahn sind nun mal nicht komplett aus der Welt zu schaffen. 7/7 holen und sich reuen sollte aber ein probates Mittel sein 😉
    2. Die Gerechtigkeit hat allerdings zumindest in dem Sinne gesiegt, dass sie uns „Schieber“ (Gerlef und mich) vom ersten Brett auf die Plätze 3 und 4 verbannt hat. Das soll jetzt bitte nicht als Forderung nach Verbot von Kurzremisen verstanden werden, aber ich finde auch einfach dass Sumets beim Turnier einfach das mit Abstand stärkste und käpferischste Schach gezeigt hat, auch wenn er auch von der ELO her mit Abstand an eins gesetzt war. Und Frank Zeller hat einige richtig schöne Partien abgeliefert. Ich weiß nicht, ob man wirklich einen aus der Spitzengruppe nennen kann, der den Sieg „wirklich verdient hat“.

  7. Michael Buscher am 17. Februar 2009, 23:56

    @Ilja: 7/7 holen ist eine Superidee, löst aber nur das Problem der Vergabe des ersten Preises. Ab Platz 2 muss dann doch wieder eine Zusatzwertung her… Und richtig, das Ideal gibt es nicht. An der Buchholzwertung stört mich aber einfach, das versucht wird, die Leistung eines Spielers A durch die Leistung anderer Spieler B1 bis Bn zu werten, auf deren Leistung A aber nur in jeweils einer Partie Einfluss hat. Und für mich gilt halt: Wer immer oben gespielt hat, hat den Sieg am ehesten verdient. Zudem sollte m.E. außerdem das Hort-System Standard werden, das hoffentlich jedem Leser dieses Blogs vertraut ist und das den Effekt der Tiebreakregelung vermindert.

    @all: Nicht verschwiegen werden soll der Hauptnachteil der Fortschrittswertung, sie erlaubt den Endstand bei Annahme bestimmter Resultate festzustellen, was gewissen Spezialisten für Remisschieben oder auch bewusst verlorenen Partien Vorschub leistet. Aber wie gesagt, ideal ist nichts.

  8. Georgios Souleidis am 18. Februar 2009, 10:31

    @Ilja:
    „Dass die Fortschrittswertung in hohem Maße die höher gesetzten Spieler bevorteilt, die in einem Turnier bei normalem Verlauf später mit harten Aufgaben konfrontiert werden, ist ja wohl offensichtlich.“
    Das ist gar nicht offensichtlich: Jeder Spieler bekommt gemäß seiner Spielstärke jede Runde relativ den stärksten Gegner zugelost, hat also, bis die Anwärter auf den Turniersieg untereinander spielen, die gleichen Chancen Einfluss auf seine Wertung zu nehmen (nur bei der Forschrittswertung).
    Dann kommt es stark auf die Farbverteilung an, insbesondere bei der wie mir scheint in Stein gemeißelten Methode Turniere mit ungerader Anzahl an Runden zu spielen. Spieler, die mehr Schwarz als Weiß bekommen, haben einen eindeutigen Nachteil.
    Den einzigen wirklichen Nachteil sehe ich wie Michael in der Tatsache, dass vor der letzen Runde „feststeht“, dass bei der Fortschrittswertung dem Führenden ein Remis zum Turniersieg ausreicht. Allerdings muss der Gegner dann mitspielen. Man könnte aber hier argumentieren, dass der Führende es sich verdient hat durch seine gutes Spiel in den vorherigen Runden.
    „…aber ich finde auch einfach dass Sumets beim Turnier einfach das mit Abstand stärkste und käpferischste Schach gezeigt hat…“
    Unfug! Er hat in der vierten Runde mit Schwarz gegen Petrosian schnell Remis gespielt und sich darauf verlassen seine Partien mit Weiß durchzubringen. Der Einzige, der von den ersten Vier alle Partien ausgekämpft hat, war Zeller.

  9. elvis am 19. Februar 2009, 15:25

    Zur empirischen Unterfütterung der Glaubensfrage „Buchholz oder Fortschritt“ habe ich testweise ein Dutzend Turniere (7 Runden Schweizer System, vor kleinere Turniere unter 40 Teilnehmern, in der Annahme, dass dort größere Verzerrungen auftreten) nach beiden Modi ausgewertet.
    80 – 90 Prozent aller Platzierungen sind identisch; im ersten Viertel mehr als 90 Prozent.
    Als Turnierleiter ziehe ich Fortschritt eindeutig vor.

    Nebenbei: das „furchteinflößende“ Äußere von „Braveheart“ Gerlef hat mich sehr amüsiert. Derselbe wurde vor wenigen Jahren noch (hier oder bei DC?) als „Jedermuttis liebster Schwiegersohn“ beschrieben. 😉

  10. Georgios Souleidis am 19. Februar 2009, 17:57

    Das mit “Jedermuttis liebster Schwiegersohn” stand auf DC. Danke für die „empirischen“ Befunde. Im Endeffekt ist es vielleicht doch nur eine Glaubensfrage.

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