Auf welcher Zugfahrt es geschah, weiss ich nicht mehr genau. Es war eine dieser Auswärtsfahrten zum einem Bundesligawochenende, in denen man mit den anderen Spielern, Betreuern und Fans zusammensitzt und die Zeit mit analysieren und zur mentalen Vorbereitung nutzt. Mein damaliger Teamchef Willi Knebel kam zu mir und teilte mir mit, dass er eine Neuerung und gleichzeitige Verbesserung der Topalovschen Spielweise aus dessen Partie gegen Leko 1999 in Dormund gefunden hätte. Freudestrahlend zeigte er mir die Varianten seiner laufenden Fernschachpartie und ich war begeistert, da offenbar alles wasserdicht war. Einige Monate später schaffte es die Partie in alle gängigen Schachpublikationen und im Informator wurde seine Neuerung gar als eine der stärksten der letzten Periode prämiert. Willi Knebel hatte sich durch sein Schaffen für den SF Katernberg schon vorher unsterblich gemacht, doch mit „seiner Unsterblichen“ drang sein Name auch über die Landesgrenzen hinaus. An dieser Stelle möchte ich genau diese Sternstunde nochmal aufgreifen, um auf diesen verdienten Mann, ein vorerst letztes Mal aufmerksam zu machen:

Knebel, Willi (2453) – Daus, Peter (2233) [C65]
corr ICCF-CL (2.2), 03.10.2005

[Willi Knebel]

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 Sf6 4.0-0 Lc5 5.c3 0-0 6.d4 Lb6 7.Lg5 h6 8.Lh4 d6 9.Dd3 Ld7 10.Sbd2 a6 11.Lc4 exd4 12.cxd4 g5?

Diagramm 1

Diesen provokanten Zug spielte Leko 1999 gleich dreimal (zweimal gegen Topalov, einmal gegen Svidler). Besonders nach den Siegen über Topalov wurde Lekos Verteidigungskunst in höchsten Tönen gerühmt. Der Bauernvorstoss ist jedoch inkorrekt und führt forciert in eine Verluststellung. 13.Sxg5! Richtig! So antwortete Topalov in Frankfurt und Dortmund und lag damit zunächst völlig richtig. Svidler hingegen liess wenige Monate zuvor die Finger von g5 (weil er offensichtlch die Pointe im 16. Zug nicht gesehen hatte), spielte 13. Lg3 und gewann die Partie später. 13…hxg5 14.Lxg5 Danach hat Schwarz drei Möglichkeiten: 14…Kg7 „Only move“ schreibt Svidler. [14…Sxd4?! 15.e5 Lf5 (15…dxe5?? 16.Dg6++-) 16.Dg3 Sh5 17.Dh4 De8 18.Dxh5 Dxe5 19.Tae1 Dg7 20.Se4 Dg6 21.Dxg6+ Lxg6 22.Sf6+ Kg7 23.Sd7 Tfe8 24.Lf6+ Kh6 25.Sxb6+-; 14…Lxd4? verliert sofort. 15.e5 Lxe5 (15…Sxe5?? 16.Dxd4+-; 15…dxe5?? 16.Dg6+ Kh8 17.Lxf6++-) 16.Dg6+ Kh8 17.Dh6+ Kg8 18.Se4+-] 15.e5 Die beiden Verlustpartien Topalovs wurden mit 15. Sb3 fortgesetzt. Ich halte das Decken des Bauern d4 für reine Zeitverschwendung und die Ursache der Niederlagen. 15…dxe5 16.Tae1!!N Das widerlegt Lekos 12. … g5 und rehabilitiert Topalovs Opfer (wenngleich mich wundert, dass weder er noch Svidler die Pointe gefunden haben). Svidler gibt in seinen Kommentaren zur Partie Svidler-Leko nur 16.Se4? Lf5! 17.dxe5 Sxe4 18.Lxd8 Taxd8 19.Df3 Lg6 und beurteilt die Stellung zu Recht als vorteilhaft für Schwarz.

Diagramm 2

16. Tae1!!N hat er nicht auf der Pfanne, und demzufolge hat wohl niemand mehr das Opfer gewagt. Kein Wunder – wenn einer wie Svidler es für widerlegt hält. Die Pointe des weissen Zuges ist, dass der Turm die Deckung des bald auf e4 erscheinenden Springers übernimmt und die weisse Dame für Angriffsmanöver gegen den schwarzen König „freistellt“. Schwarz ist nun in allen Varianten verloren; der Rest ist nur noch ein technisches Problem. 16…Lxd4 Daus entscheidet sich für die längste – gleichwohl aber aussichtslose – Zugfolge. Bei anderen Zügen geht’s fix: [16…Sxd4 17.Se4 Lf5 18.Dg3 Lxe4 19.Lxf6+! Kxf6 20.Txe4 Dd6 (20…Sc6 21.Tfe1 Dd6 ist nur Zugumstellung) 21.Dh4+ Kf5 22.Tfe1 Sc6 23.Lb3! Ein teuflischer Zug, der 24. Txf4+! exf4 25. Lc2 nebst Matt droht. 23…Dd2 (23…Dd3?? 24.Tf4+ exf4 25.Dh7++-) 24.Dh5+ Kf6 25.Df3+ Ke7 26.Txe5+ Sxe5 27.Txe5+ Kd7 (27…Kd6 28.Df6+ Kd7 29.De7+ Kc8 (29…Kc6 30.La4#) 30.Dxf8+ Kd7 31.Dxf7++-) 28.Df5+ Kd8 29.Td5++-; 16…exd4 17.Se4 Lf5 18.Dg3 Immer wieder das nach 16. Tae1 mögliche gleiche Motiv. 18…Sxe4 (18…Lxe4 19.Lxf6+ Kxf6 20.Txe4 Dd6 21.h4! Mattangriff! 21…Tg8 (21…Dxg3 22.fxg3+ Kg7 23.Tg4+ Kh7 24.Tf5 Kh6 25.Tf6+ Kh7 26.Ld3+ Kh8 27.Th6#) 22.Tf4++-) 19.Txe4 Lxe4 20.Lxd8++-] 17.Se4 Lf5 18.Df3 Lxe4 19.Txe4

Diagramm 3

Gegen die Drohung 20.Lxf6+ nebst 21.Tg4+ gibt es keine Verteidigung mehr. 19…Sxe4 Verzweiflung! 20.Lxd8 Taxd8 20…f5 21.Lh4 Sd2 22.Dg3+ Kh7 23.Le6 Sxf1 24.Dh3 Kg7 25.Kxf1 Tae8 26.Lxf5+- 21.Dg4+ Der Rest bedarf keines Kommentars. 21…Kh6 22.Dxe4 Td6 23.Td1 Kg7 24.Td3 Tg6 25.Tf3 b5 26.Ld3 f5 27.Txf5 Txf5 28.Dxf5 Tf6 29.Dd7+ Kf8 30.Kh1 Se7 31.Dxc7 Kf7 32.g4 Txf2 33.g5 Schwarz gab auf. die Drohung 34. g6+ ist tödlich. 1-0

Aus Trauer um meinen lieben Schachfreund Willi Knebel, der am Sonntag verstorben ist, bleibt dieses Blog eine Woche lang ohne Aktivität.

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