Die seriöse Schachpresse setzte in letzter Zeit wieder ein Thema auf die Agenda, das viel Polemik beinhaltet. Die Ausländerquote in der 1. Schachbundesliga.

Zu viele Ausländer?

Schaut man sich die Aufstellungen einiger Bundesligisten an, so wirkt das in der Tat befremdlich. Unternimmt man aber den Versuch einer tiefergehenden Analyse so wirkt alles plausibel und weniger dramatisch als vielerorts kolportiert. Hier einige interessante Fakten bezüglich der Saison 2006/2007: 48% aller gemeldeten Spieler – 107 von 224 – sind Ausländer. 10 der 16 Vereine haben, von den 14 zu meldenden Spielern, zumindest 7 oder mehr Einheimische im Kader. Von den Top 50 der deutschen Rangliste finden sich 37 Spieler in der Bundesliga. Die grössten deutschen Talente Naiditsch, Baramidze und Kritz sowie die jungen Wilden Braun, Bindrich und Meier, um nur einige zu nennen, spielen alle in der obersten Deutschen Spielklasse. Ist also die Lage wirklich so dramatisch wie sie der Redakteur von „Schach“, Raj Tischbierek, in der Ausgabe 9/2006 mit seinem „Bundesliga-Brandbrief“ suggerieren möchte?

Das Konkurrenzdenken und das damit einhergehende Milchproblem

Raj Tischbierek kritisiert die mangelnde „Verantwortung gegenüber dem Schachstandort Deutschland“, was m. E. eine ziemlich pauschale Rundumkritik ist und dem Kern der Sache nicht wirklich gerecht wird. Aufsteiger wie Bann oder Remagen könnten das Abenteuer Bundesliga gleich vergessen, wenn sie sich nicht mit Ausländern verstärken würden. Denn wo sollen plötzlich die vielen guten Deutschen Spieler her, die man ins Team einbauen könnte? Die Top 50 sind mehr oder weniger vergeben und wenn man die Liste weiter runter geht, dann findet man nur noch Spieler unter ELO 2500, die regional in ihren Vereinen fest verankert und ergo schwierig abzuwerben sind. Hinzu kommt noch der finanzielle Aspekt. Eine Mannschaft wie Katernberg, die sich Jahr für Jahr weiterentwickeln möchte, hat in den letzten Jahren versucht sich mit deutschen Spielern wie Naiditsch und Kritz zu verstärken. Doch es scheiterte schlicht und ergreifend an den unterschiedlichen finanziellen Vorstellungen. Wer will es ihnen dann verdenken, wenn sie sich aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der „Roten Armee“ bedienen?

Die grossen Drei

Im Grunde genommen trifft die Kritik des zu hohen Ausländeranteils nur auf die grossen Drei, OSC Baden-Baden, SG Porz und Werder Bremen zu. Schaut man sich deren Aufstellungen an, so reibt man sich tatsächlich verwundert die Augen. Doch auch ihr Gebahren ist verständlich und nachvollziehbar. Will man heutzutage Deutscher Meister werden oder Erfolge auf der europäischen Bühne feiern, so muss man sich mit ausländischen Spitzenkräften eindecken. Das Reservoir an Supergrossmeistern aus Deutschland ist nun mal leider etwas begrenzt.

Veränderungen auf Kosten des Niveaus

Ein grosser Vorteil der jetzigen Situation ist das schachlich relativ hohe Niveau der Bundesliga. Davon profitieren die einheimischen Spieler, Vereine und Zuschauer. Im Sinne einer progressiven Entwicklung, wie man sie sich mit der Abspaltung vom Deutschen Schachbund vorstellt, würde sich eine spielstarke Bundesliga auch besser vermarkten lassen. Das Argument, dass eine Mannschaft, die Deutscher Meister wird eine Mindestanzahl an Deutschen Spielern aufweisen müsste, ist allerdings nicht von der Hand zu weisen. So gesehen muss ein Kompromiss her. Das „50-50 Modell“, das Raj Tischbierek erwähnt, klingt vernünftig. Man müsste sich allerdings darüber im Klaren sein, dass man dadurch ein schwächeres Niveau in Kauf nehmen würde und dass sich auch keineswegs die Konditionen für Deutsche Spieler zwangsläufig verbessern würden. Stefan Löffler outet sich in seinem Schachblog als Optimist wenn er glaubt, dass die Schachbundesliga sich zu einem Kompromiss durchringen würde, sobald sie ein eingetragener Verein sei. Ich kann mir dagegen vorstellen, dass die grossen Drei und vielleicht auch einige andere Vereine im Falle eines Votums nicht so ohne weiteres einem Kompromiss zustimmen würden, denn dann müssten sie die Hälfte ihres Kaders vor die Tür setzen.

Die Saison 2006/2007 verspricht viel Spannung, sowohl sportlich auf der Bühne, als auch hinter den Kulissen. Und das nicht zuletzt wegen der vielen Ausländer.

Kommentare

2 Antworten zu “Warum soll man zu Plus, wenn die Milch bei Aldi nur 50 Cent kostet?”

  1. Schachblätter » Blog Archive » Bundesliga am 01. September 2006, 22:20

    […] Der Anteil ausländischer Spieler in der Schachbundesliga ist gegenwärtig das Thema der deutschen Schachgemeinde, angestossen durch Raj Tischbierek, der beklagt, dass die Spitzenteams praktisch keine deutschen Spieler mehr aufbieten. “In Frankreich käme keiner auf die Idee, eine Mannschaft aus neun Ausländern aufzustellen. Es würde auch niemand klagen, der weniger als fünf Franzosen einsetzen will. In Deutschland gibt es für diese Frage ein anderes Verständnis.” Stefan Löffler glaubt dagegen, dass es unter den 16 Erstligisten jederzeit mehrheitsfähig war und noch ist, dass mindestens die Hälfte der Mannschaft Deutsche sein müssen oder ihren Erstwohnsitz, also Lebensmittelpunkt in Deutschland haben. “Eine solche Regelung dürfte kommen, sobald die Schachbundesliga ein eingetragener Verein ist, der weitgehend Unabhängigkeit von den übervorsichtigen Funktionären des Deutschen Schachbund geniesst.” Rank zero findet die Liga jedenfalls nicht zu stark für seine Mannschaft, “immerhin – wenn man richtig zählt – die sechststärkste deutsche Mannschaft der Liga!” Und Entwicklungsvorsprung urteilt lakonisch: “Warum soll man zu Plus, wenn die Milch bei Aldi nur 50 Cent kostet?” Die Schachblätter spielen dieses Jahr in einer anderen Liga. […]

  2. Falko Meyer am 06. September 2006, 16:38

    Moin allerseits, hoffentlich zur Bereicherung dieses Blogs ein paar Gedanken zur Diskussion über den Ausländeranteil in der 1. Schachbundesliga:

    Autor: Typischer durchschnittlicher Fide-Meister, gesegnet mit einigen wenigen 1.-BL-Einsätzen; schachlich eher geeignet für 2.-3. Liga, je nach Region.

    1) Mehr oder weniger versteckte These in verschiedenen Medien: Ein Verein tut mehr für den Schachstandort Deutschland, wenn ein deutscher Spieler eingesetzt wird als wenn ein ausländischer Spieler eingesetzt wird.

    Warum eigentlich?
    a) Nehme ich dadurch einem einheimischen Schachspieler die Möglichkeit sich mit seiner Spielstärke angemessenen Gegnern zu messen?
    Natürlich nicht. Vielmehr schaffe ich die Möglichkeit auch für die besten deutschen Schachspieler sich mit noch stärkeren Gegnern (Weltspitze) zu messen. Die Spieler der 2. und 3. Reihe erhalten so auch an hinteren Brettern der 1. Liga oder vorderen Brettern der 2. und 3. Ligen überaus starke Gegnerschaft (zum Beispiel Ausländer).

    b) Nehme ich den einheimischen Schachspielern dadurch Verdienstmöglichkeiten? Das wage ich zumindest zu bezweifeln. Das Budget der Vereine dürfte durch eine stärkere Gesamtliga aufgrund der besseren Vermarktungsmöglichkeiten höher sein (Werbewert der „Stärksten Liga der Welt“ dürfte deutlich höher sein als „Ausbildungsliga deutscher Spitzenspieler“). Ein deutscher Grossmeister mit z. B. Elo 2550 dürfte in einer Ausbildungsliga an Brett 1 nicht mehr verdienen als in der besten Liga der Welt an Brett 5.

    c) Selbst wenn die Verdienstmöglichkeiten im Schach doppelt so hoch wären (Wunschdenken?, Illusion?), lebt die Attraktivität eines Lebens als Schachprofi mit Sicherheit immer noch nicht von der finanziellen Komponente -> es würden sich nur marginal mehr Spieler gegen andere Berufe/Einnahmequellen entscheiden; möglicherweise würde eine geringe Anzahl von Schachprofis ihr Spiel spürbar verbessern können, da sie aufgrund der höheren Vergütung weniger Zeit mit anderen „Jobs“, ob nun als Schachtrainer oder in anderer Branche, zur Erstreitung ihres Lebensunterhaltes aufbringen müssten.

    2) Welche Spieler sind für den Schachstandort Deutschland eigentlich förderungswürdig?
    – Spieler, die in Deutschland wohnen, und für die Deutsche Nationalmannschaft spielen können?
    – Spieler, die in Deutschland wohnen, egal für welche Nationalmannschaft sie spielen können?
    – Spieler, die im Ausland wohnen, und für die Deutsche Nationalmannschaft spielberechtigt sind?
    – Ausländische Spieler, die zusammen mit deutschen Spielern irgendwo auf der Welt trainieren?
    – Ausländische Spieler, die deutsche Spieler/Jugendliche trainieren?
    – Ausländische Spieler, die nach einigen Jahren zu deutschen Spielern gemacht werden (können)?
    – Ausländische Spieler, die bereits seit x Jahren deutsche Spieler sind?

    Auch wenn ich sonst nicht viel mit der FIDE gemein habe: gens una sumus.

    3) Aussage: Es gibt zu viele Ausländer in der Schachbundesliga

    Wer ist Ausländer (s.o.)
    Wofür eigentlich zu viele?
    a) Welchen Einfluss hat dies zum Beispiel auf jugendliche Schachspieler? Wenn Jugendspieler XY mit seinen 12 Jahren einen Bundesligakampf seines Vereins besucht, und dort an jeweils Brett 8 vier „ausländische“ Grossmeister spielen, findet er das spannend und reizvoll und hat mehr Lust auf Schach oder sagt er sich, „och nö, wenn da nur Ausländer spielen kann ich das ja eh nicht schaffen, dann höre ich lieber auf mit Schach“?

    b) Mangelt es in den Vereinen durch die ausländischen Spieler an Identität mit der 1. Mannschaft?
    Nach meiner bisherigen Erfahrung (alleine 4 verschiedene Vereine im Bereich 1.-3. Liga) hat die Identifizierung nichts mit der Nationalität zu tun. Ob mein für Hamburg eingekaufter Spieler in Berlin, Moskau oder Paris lebt, ist vollkommen egal, ebenso welche Sprache er spricht. Steht er am Vereinsabend vor dem Spiel und/oder an den Spieltagen selbst den Vereinsmitgliedern für Fragen, Analysen etc. zur Verfügung, kennt den einen oder anderen beim Namen, funktioniert es gut; wenn nicht, dann nicht -> Relevanz des Passes = 0.

    4) Ist eine Entwicklung zu einer reinen Ausländerliga (z.B. 90% Ausländeranteil) ein Nachteil für die bei weitem grösseren Spielergruppen im Deutschen Schachbund a) bis DWZ 2200, b) 2200-2500?

    Gruppe a) DWZ bis 2200: ich sehe nur Vorteile für diese mit Abstand grösste Gruppe.

    Gruppe b) DWZ 2200-2500: Diese Gruppe möchte vielleicht es einmal in die Oberliga oder 2. Bundesliga oder 1. Bundesliga schaffen (klingt einfach netter!) und sich dort mit den Besten messen. Teil 1: stimmt, ein echter Nachteil, ich würde auch gerne -“ allein aus zugegebener Eitelkeit – allen möglichen Leuten erzählen ich spielte 1. Bundesliga.
    Teil 2: Durch die vielen Ausländer in der 1. Bundesliga bekomme ich auch in der 2. Bundesliga lauter gute Gegner und selbst in der Oberliga kann ich mich nicht beschweren (Gleiches dürfte für alle Amateure und Halbamateure gelten).

    5) Stellt sich die Frage: Wie kommt es zu dieser Diskussion?
    a) Um etwas zu diskutieren (Sommerloch)?
    b) Weil entgegen der vorgeschobenen Interessen zum Beispiel des „Schachstandort Deutschlands“ möglicherweise ganz andere (eigene oder fremde) Interessen vertreten werden.
    B1) Zum Beispiel finanzielle Interessen: Selbstredend ist es in Deutschland (derzeit) verpönt zu sagen, dass man für genau die gleiche Tätigkeit mehr Geld möchte, dass derzeit jemand anderes bekommt (egal wie berechtigt dieser Wunsch ist). Daher ist es verständlich (vielleicht sogar notwendig) andere Gründe vorzuschieben.
    B2) Zum Beispiel Wettbewerbsinteressen: Ich möchte trotz meiner beschränkten finanziellen Möglichkeiten mit dem mir zur Verfügung stehenden Spielermaterial, den meinem Verein treu bleibenden starken deutschen Spielern in der 1. Bundesliga wettbewerbsfähig sein.
    B3) Oder, auch sehr beliebt, Futterneid? Ich muss ich für jeden Euro von der lokalen Pommesbude abbuckeln und die Konkurrenz bekommt von Konzern, Mäzen oder Fussballverein viel mehr Geld, und dann noch (scheinbar) einfacher.
    c) Oder weil meine oben stehenden Gedanken alle Quatsch sind, und diese Diskussion und etwaige Veränderungen zur Rettung des Schachs in Deutschland wirklich notwendig sind – durchaus denkbar.

    Meines Erachtens wäre diese Diskussion deutlich sinnvoller und nachhaltiger, wenn die jeweiligen Autoren ihre Motive hinter ihren Beiträgen angeben würden. Ich schreibe dies zum Beispiel nur, um Sie auf meine Website http://www.kanzlei-fmeyer.de aufmerksam zu machen ;-). Werbung ist schliesslich nicht nur für die Schachbundesliga alles…

Einen Kommentar hinterlassen

You must be logged in to post a comment.