Die folgende Perle schickte mir Martin Gebigke, ein treuer Leser, der auch für diesen Beitrag verantwortlich ist ((Ähnliches Motiv)). In seiner Partie setzte er gekonnt das Läuferpaar ein und gewann sehenswert durch einen tollen Abschluss.

Schubert, Ralf (1928) – Gebigke, Martin (2032) [E46]
Dresden, 16.07.1996

[Martin Gebigke]

1.d4 Sf6 2.c4 e6 Nachdem ich von GM Rogozenko in der zweiten Runde desselben Turniers eine Lehrvorführung in Sachen Budapester Gambit erhalten und mein Mitstreiter Dirk Suhl mir von weiterer Verwendung desselben dringend abgeraten hatte, legte ich diese Eröffnung für die nächsten zehn Jahre konsequent ad acta. 2…e6 war in dieser Partie somit gewissermassen der Beginn einer neuen Zeitrechnung in meiner Schachturnierlaufbahn. Aufgrund mangelnder Praxis war ich natürlich ein wenig aufgeregt, aber letztlich überwog die Neugier, was mir der Sprung ins kalte Wasser wohl bringen würde. 3.Sc3 Lb4 4.e3 0-0 5.Sge2 Te8 6.a3 Lf8 7.e4 d5 8.e5 Sfd7 9.c5

Das fängt ja gut an… dachte ich mir so, denn optisch fühlte sich meine Stellung erst mal komisch an. Da ich aber nicht das Gefühl hatte, etwas grundlegend falsch gemacht zu haben, gewann ich langsam das Vertrauen zurück. Die Annahme des Bauernopfers mit 9.cxd5 exd5 10.Sxd5 würde Weiss nach 10…c5! tatsächlich nur Probleme einbringen. 9…b6 10.b4 bxc5 10…a5!?;10…f6!?. 11.bxc5 La6 12.h4 Hmm, bin ich schon matt? Verblüffenderweise bekam ich diese Stellung ein halbes Jahr später im Vereinsturnier erneut aufs Brett. 12.a4 f6 13.f4 Le7 14.Sb5 c6 15.Sd6 Lxd6 16.cxd6 c5 17.dxc5 fxe5 18.Le3 d4 und Schwarz stand etwas besser, aber 1-0 in Barwich,A-Gebigke,M/, Berlin 1997 (33). 12…f6 13.f4 Er will auch am zweiten Flügel seinen Raumvorteil behalten. 13.exf6!? Sxf6 oder 13…Dxf6!? unklar. 13…fxe5 14.fxe5 Le7 15.Dc2 Ein netter Versuch aber viel mehr, als h4 indirekt zu decken, gelingt Weiss hiermit eigentlich nicht, wenn sein Gegner nicht gerade den Köder auf der h-Linie einkassiert. Im Gegenteil: Die Stellung der weissen Dame wird demnächst ein wichtiges Motiv schwarzer Unternehmungen darstellen! 15.g3!? Symbiose von Angriff und Verteidigung: Zwar wird h4 gedeckt, vielmehr ist jedoch in der Folge Lh3 (×e6) mit einigem Gegenspiel möglich! 15…Sc6 wäre eine solide Fortsetzung, obwohl ich wahrscheinlich auch hier schon direkt zu der Idee gegriffen hätte, die wenig später auf dem Brett erscheint. (15…Tf8? 16.Lh3-š Weiss sollte es nun nicht an Ideen mangeln.; 15…Sf8?! wäre ein Erfolg für Weiss: Einer der potentiellen Opfersteine ist vom Objekt der Begierde abgelenkt worden.) 15…Tf8 16.g3 Nach kurzem Stocken war mir bald klar, was nun zu tun war:

16…Sxe5! Ein phantastisches Konzept! Das Läuferopfer 16…Lxc5 war auch interessant, aber ich hatte am Vorabend in einem Schachbuch über die Kraft der Läufer („Bishop power“) gelesen und war davon vielleicht ein wenig in meiner Entscheidung beeinflusst worden. 17.dxe5 d4 18.De4 Hier sieht man eines der Motive, die dem Schwarzen zugute kommen: Weiss lässt sich verführen, die Stellung der Dame (die ja sonst auch eventuell durch d4-d3 aufgespiesst zu werden drohte) zu einem Turmgewinn zu nutzen. 18.Lg2!? d3 (18…Sd7!?) 19.Dd2 dxe2 20.Dxd8 Lxd8, und das gierige 21.Lxa8? (besser 21.Sxe2 oder 21.Lf4 ) scheitert an 21…Tf1+-+. 18…dxc3 19.Dxa8? Das ist konsequent, aber schon der entscheidende Fehler. Mit 19.Sf4 konnte Weiss wohl noch die Balance halten, z.B. 19…Lxf1 20.Txf1 (20.Dxa8? ist erneut keine gute Idee, denn nach 20…Lb5! ist Schwarz für die geringe Materialeinbusse doch deutlich mehr als entschädigt.) 20…Sa6 (20…c6!?) 21.Sxe6 Txf1+ 22.Kxf1 Dd1+ 23.Kg2 c6 -¦24.Dxc6 De2+ und Dauerschach. 19…Lxc5 Das Läuferpaar ist sehr gefällig postiert, die Lektüre vom Vorabend war nicht umsonst. Schwarz droht einzügig Matt. Weiss hat nun die Wahl zwischen zwei Verteidigungen und entscheidet sich für die weniger hartnäckige. 20.Th2 20.Sf4 war relativ besser, hätte bei bester Spielführung von Schwarz aber auch nicht mehr gereicht.;
20.Dg2 Lb7!-+ Ein laaaaaaaanger Läufer! 20…c2! Ich scheine Gefallen an den einzügigen Drohungen gefunden zu haben. 21.Ld2 Weiss droht nun immerhin, seine Dame endlich ins Spiel zurückzuführen, aber vorher ist Schwarz noch einmal dran. GM Karsten Müller würde hier vielleicht sagen: „Bitte drücken Sie auf Pause und überlegen Sie selbst…!“ Auf den ersten Blick scheint 21.Lf4 noch zu gehen, aber nach 21…Dd3! droht der soeben der f-Linie beraubte Turm auf die d-Linie zu schwenken, was nicht gut zu verhindern ist. 22.Lh3 Lc4 23.Lg4 Ld5 Schwarz gewinnt sein Material mit Zinsen zurück und wird die Partie schnell gewinnen. Immer wieder fällt in diversen Varianten die Abseitsstellung der weissen Dame ins Gewicht.

21…Dd4!! Ein Zug für die Galerie! GM Peter Wells, Autor des schon erwähnten Büchleins („Piece Power“), der in diesem Moment an meinem Brett vorbeikam, machte ein interessantes Gesicht und sparte abends an der Hotelbar nicht mit Komplimenten. Ich war begeistert! Auch in den Jahren seitdem sind mir nur noch ganz selten ähnlich glamouröse Partien gelungen. 22.Lc3 Pariert die zwei offensichtlichsten Drohungen… 22…Txf1+ 23.Kxf1 Ich hatte durchaus nichts dagegen, dass mein Gegner mich den Schlusszug noch ausführen liess. Es sah aus, als würde er einen Rechenfehler bei mir entdeckt haben und schien in der Tat schon wieder Hoffnung zu schöpfen. Die Pointe aber holte ihn unsanft in die Wirklichkeit zurück. 23…Dg1# 0-1 Während die schwarze Dame einen kräftigen Schlussakkord setzte, konnte ihre Kontrahentin dem Geschehen nur aus weiter Entfernung tatenlos zusehen.

Noch eine Bemerkung am Ende: Zur Perle können Partien natürlich aus unterschiedlichsten Gründen werden, oftmals sogar auf scheinbar eher unspektakuläre Weise, aber das hängt natürlich von den Vorlieben des Betrachters ab. Ich muss sagen, dass ich unter Zuhilfenahme des Rechners doch häufiger als erwartet – teils auch noch Jahre später – in meinen Partieanalysen phantastische Ideen auffinden kann, bei denen ich zutiefst bedauere, dass sie so nicht aufs Brett gekommen sind. Vielleicht wäre eine solche Rubrik im Sinne von „meine besten verpassten Gelegenheiten“ eine interessante Anregung für diesen Blog.

Für diese Rubrik werden Einsendungen weiterhin gerne entgegengenommen.

Kommentare

4 Antworten zu “Die Perle meiner Karriere (12)”

  1. schrat am 03. Oktober 2008, 01:11

    Eine schöne Partie und eine noch schönere Idee für einen neuen Blog!

  2. Georgios Souleidis am 03. Oktober 2008, 19:27

    Oh, oh, noch ein Blog werde ich erstmal nicht präsentieren. Ich bin gut ausgelastet zur Zeit.

  3. Magerit am 03. Oktober 2008, 23:13

    Komm Georgios, stell Dich nicht so an!! Die Idee ist gut.

  4. Georgios Souleidis am 04. Oktober 2008, 11:13

    Die Idee ist auch gut, aber ich kann sie ja hier integrieren.

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