Das neue (Sub)Medium Weblog kann als Plattform für eine „ideale Sprechsituation“ (Habermas) dienen. Folgende Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein:

– Alle Parteien müssen die gleiche Möglichkeit besitzen, sich am Diskurs zu beteiligen (gleicher Zugang).
– Zwischen den Parteien darf es keine Machtunterschiede geben (herrschaftsfreier Raum).
– Alle Parteien agieren wahrheitsgemäss (klar erkennbare Identität).

Idealerweise führt ein solcher Diskurs durch Argument und Gegenargument zu einem Konsens!

Dementsprechend hat mich die Resonanz auf meinen Bericht vom Wochenende freudig überrascht und so fühle ich mich motiviert meine genannten Vorschläge zu präzisieren bzw. auf einige Kommentare einzugehen.

Das Uhrproblem/Spielmaterial

„Wenn ich dann höhre das Zeitnotspiel wird jedesmal zum VaBanque nur soviel. Habe am Wochenende einen BL-Kampf gesheen, wo eine digitale! Uhr nachweislich die flasche Zeit anzeigte. Bei einem Spieler einfach 10 Minuten zu wenig. […] Und keiner wusste wo und bei wem zu wenig Zeit angezeigt wurde. Könnte bei einer analogen Uhr nie passieren.“ (Wulf Hielscher)

Es ist empirisch unzulässig durch einen Extremfall das Gesamtphänomen erklären zu wollen. Ich argumentiere ja auch nicht: „Hey heute hat mal wieder jemand vergessen die mechanische Uhr aufzuziehen. Das Ding läuft nicht.“ Oder: „Durch das feste Schlagen auf die Uhr fällt der Zeiger bevor die Zeit abgelaufen ist.“

Es ist klar, dass Extremfälle immer wieder vorkommen werden, durch die bestimmte Uhren, ob analog oder digital, ihren Dienst temporär verweigern werden. Für diese Fälle braucht man natürlich fachkundiges Personal. Zugegeben bei mechanischen Uhren ist ein derartiges Problem schnell gelöst, aber hey Bedienungsanleitungen dürfen auch gelesen werden.

Mein Argument für Digitaluhren lautet folgendermassen:

Es ist bei mechanischen Uhren ab ca. 2-3 Minuten vor Ablauf der Zeit einfach nicht mehr möglich einzusehen, wie viel Zeit wirklich noch übrig ist. Das führt zu Nervosität, schlechterem Spiel und im negativsten Fall zu haarsträubenden Fehlern oder gar zur Zeitüberschreitung.

Dies wird durch digitale Uhren in hohem Masse verhindert!

Ich sehe ehrlich gesagt kein gewichtiges Argument, welches gegen digitale Uhren spricht. Die Finanzen können es nicht sein. Wir sprechen hier von einer einmaligen Investition im dreistelligen Bereich. Für einen Verein, der sich acht
Grossmeister leistet, dürfte das kein Problem darstellen.

„Da macht es aus meiner Sicht auch wenig aus, dass mit mechanischen Uhren gespielt wird. Hat doch 100 Jahre gut funktioniert, oder?“ (Bernd Schneider)

Mein lieber Bernd, irgendwann in grauer Vorzeit wurde auch mit Rauchzeichen kommuniziert. Trotzdem sind wir froh, dass es heute Telefon und Internet gibt.

„Übrigens, was hattest Du an dem Material auszusetzen?“ (Bernd Schneider)

Nichts! Genau dieses Material, Holzbretter + Spielfiguren (Staunton, Holz, Königshöhe: 95 mm), müsste überall eingesetzt werden, was meines Wissens auch getan wird.

Das Ruheproblem/Schiedsrichter

„Das Problem ist aber so alt wie das Spiel.“ (Kai Reinecker)

Bingo! Aber deswegen muss man sich nicht mit dem Status quo zufrieden geben. Wir vergessen schnell, dass früher z. B. geraucht werden durfte während einer Partie, oder dass vor gar nicht so vielen Jahren sehr häufig irgendwelche Mobiltelefone im Turniersaal klingelten. Diese Probleme wurden durch strikte Regeln abgeschafft.

„Ferner haben Bundesligaschiedsrichter mit der Turnierordnung des DSB ein völlig ausreichendes Regelwerk zur Hand. Auch was Störungen durch Geräusche angeht.
Manchmal fehlt den Schiedsrichtern vielleicht einfach nur die Durchsetzungsfähigkeit gegenüber so manchem berühmten Grossmeister.“ (Kai Reinecker)

Noch mal ins Schwarze! Man stelle sich nur mal vor wie Herr Merk den Herrn Ballack fragt: „Hallo Herr Ballack, darf ich Ihnen die gelbe Karte zeigen?“

Absurd, aber beim Schach agieren die Schiedsrichter häufig auf so noble Weise. Damit muss endlich Schluss sein. Ein Schiedsrichter ist der Herr im Haus und seine Anweisungen müssen so unmissverständlich ausgedrückt werden, dass es keine Widerworte erlaubt. Insbesondere gegenüber Spieler, die direkt nach der Partie mit der Analyse am Brett beginnen, sollte passenderweise der Imperativ angewandt werden.

Das übergeordnete Anliegen

Die Ausgangsfrage meiner Überlegungen war und ist: Was kann man tun, um den Schachsport auf möglichst vielen Ebenen zu verbessern?

Meine Ausführungen, die wahrhaftig nur einen kleinen Teil der „Probleme“ im Schach anreissen, haben offensichtlich hier und da einen entzündeten Nerv getroffen. Es wurden in den Kommentaren auch Punkte angesprochen, die ich gar nicht zur Sprache gebracht hatte, doch das ist nur förderlich für den Gesamtdiskurs.

Es steckt viel Leben in der Szene. Wenn man diese Energie zum Wohle des Schachs bündeln könnte, dann würde man viel erreichen. Mir ist klar, dass in einem System mit föderalen Strukturen die Mühlen langsamer mahlen. Und wenn jeder Verein seinen eigenen Weg geht, dann kommt die Gesamtheit nie vom Fleck.

Aber es gibt auch Positives zu berichten. Man schaue sich nur die neue Internetpräsenz der Schachbundesliga an. Und die Anstrengungen der Vereine, insbesondere jener, die es in den letzen Jahren in die Bundesliga geschafft haben, sind nicht zu übersehen.

Und den tüchtigen unentgeltlich arbeitenden Helfern, welche auch in Solingen in grosser Anzahl vorhanden waren, sei auf diesem Wege ein besonderes Dankeschön ausgesprochen.

Kommentare

3 Antworten zu “Eindrücke zum Bundesliga-Wochenende in Solingen Reloaded”

  1. Wulf am 14. Dezember 2006, 11:47

    Es ist bei mechanischen Uhren ab ca. 2-3 Minuten vor Ablauf der Zeit einfach nicht mehr möglich einzusehen, wie viel Zeit wirklich noch übrig ist. Das führt zu Nervosität, schlechterem Spiel und im negativsten Fall zu haarsträubenden Fehlern oder gar zur Zeitüberschreitung.

    Es gibt etliche mechanische Uhren auf denen ich die noch zur Verfügung stehende Zeit viel besser erkennen kann als auch manchen Digitaluhren mit ihrer schlechten Beleuchtung. Und noch was. Bei der digitalen Uhr fehlt mir (ich bin halt aus der alten Schule) tatsächlich das Ticken der Uhr und das Geräusch das das fallende Blättchen macht. Wenn ich eine Partie ohne Uhr (Ticken) spiele, dann nehme ich sie meistens nicht besonders ernst (Hobbypartie). Sicherlich in der BL zieht dieses Argument nicht, aber warum gibt es wohl im Fussball keinen Videobeweis? Weil alle nach den gleichen Regeln spielen sollen. Und so sollte es auch im Schach sein. Die BL ist auch nur ein kleiner Teil der Schachwelt. Also sollten auch im Schach alle mit den gleichen Regeln spielen. Und das gilt auch für Uhren. Es sind eben mechanische und elektronische Uhren zugelassen und deshalb sollte jedem Verein frei gestellt sein, welche er benutzt. Übrigens die besten Uhren habe ich in der Frauenbundesliga in Berlin gesehen, das war eine Kombination aus mechanischen und elektronischen Uhren. Die waren wirklich gut.

  2. Schachblätter » Blog Archive » Kommunikatives Handeln am 14. Dezember 2006, 21:17

    […] Entwiclungsvorsprung über den herrschaftsfreien Diskurs in der Schach-Öffentlichkeit. […]

  3. Rank zero » Blog Archive » Verhalten am Schachbrett (I) am 19. Dezember 2006, 09:47

    […] Georgios Souleidis beklagte jüngst in seinem Blog mal wieder die widrigen Störungen, unter denen Spieler zu leiden haben. Dass  dergleichen nicht neu ist, illustriert eine alte niedersächsische Sage. Als Herzog Anton Ulrich noch auf seinem Lustschlosse Salzdahlum Hof hielt, hatte er oft fürstliche Gäste bei sich zu Besuch. Unter diesen war auch ein Herr, der sehr gern am Schachbrett saß und sich für einen großen Meister des edlen Spieles ausgab. Nun lebte zu der Zeit in Salzdahlum auch ein alter Schuhmacher mit Namen Fuster. Das war ein ganz einfacher Mann, der aber ausgezeichnet Schach spielen konnte.Als nun der hohe Gast wieder einmal beim Herzog zu Besuch war und auch diesmal den Mund recht voll nahm und von seiner Kunst viel Aufhebens machte, gedachte der Herzog, ihn etwas zu demütigen, und sagte demnach zu ihm: »Ihr rühmt Euch Eures klugen Spieles, und doch habe ich hier im Dorfe einen Schuster, gegen den Ihr nicht aufkommen könnt. Er wird Euch jedesmal besiegen! « Da warf sich der fremde Herr in die Brust und sagte: »Durchlauchtigster Fürst, befehlet den Mann hierher, und ich setze 100 Dukaten für jedes Spiel, das er mir abgewinnt! « Der Herzog ließ den Alten zu sich ins Schloß entbieten mit dem ausdrücklichen Vermerk, er möge nur kommen, wie er gehe und stehe. Bald erschien denn auch der Schuhmacher. Der Herzog erzählte ihm, warum er ihn gerufen habe, und forderte ihn auf, ja nicht scheu zu sein, sondern zu tun, als ob er zu Hause wäre. Das ließ sich denn Fuster nicht zweimal sagen. Erst schnallte er seine Gamaschen ab, die voll Kot und Dreck waren, schlug sie um die Ofenbeine und warf sie in die Ecke. Dann steckte er seine Pfeife in Brand und setzte sich ohne Scheu dem vornehmen Herrn gegenüber. Während des Spieles hustete und pfiff er, räusperte sich oft und spuckte dann auf den Fußboden. Überhaupt führte er sich gar nicht höflich auf. Dabei gewann er aber zur großen Freude des Herzogs ein Spiel nach dem andern, und weil der hohe Gast sich nicht ergeben wollte, so saßen sie bis tief in die Nacht hinein. Endlich sah der fremde Herr ein, daß er gegen den Schuster nicht aufkommen konnte. Er zahlte dem Sieger den versprochenen Lohn und räumte das Feld. Der Alte zog wohlgemut mit seinen gewonnenen Dukaten nach Haus, der vornehme Herr aber hat sich seit der Zeit nicht wieder seiner Kunst gerühmt. […]

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