Die folgende Gurke stammt von Franko Mahn und für Entwicklungsvorsprung ist sie jetzt schon Kult. Ich weiss ja nicht ob anderen schon mal ähnliches passiert ist, aber mir ist es aus einer ernsthaften Partie so nicht bekannt. Bühne frei für den Unglücksraben.

Eure wunderbare Serie mit den Fehlgriffen längst vergangener Tage lässt mich wirklich immer wieder schmunzeln, aber auch mitleiden. Gerne folge nun auch ich Eurem kürzlich gemachten Aufruf, den Gurkensalat mit Beiträgen zu würzen; und lange brauchte ich in meinem Archiv nicht zu suchen. Denn obwohl die Gurke meines Lebens schon ein viertel Jahrhundert alt ist, ist mir das damalige Szenario noch so gegenwärtig, als hätte ich die Partie erst am gestrigen Abend gespielt!

Mahn, Franko – Luhm, Stephan [B00]
Berliner Jugendeinzelmeisterschaft 1983


1.d4 b5 2.e4 Lb7 3.Ld3 e6 4.Sf3 a6 5.0-0 d5 6.De2 Sf6 7.Lg5 Le7 8.e5 Sfd7 9.Lxe7 Dxe7 10.c3 c5 11.Sbd2 Sc6 12.De3 Tc8 13.a3 0-0 14.Sg5 g6 15.f4 f5

Diagramm 1

Ich entsinne mich noch gut daran, dass ich sehr überrascht war, als mein Gegner f7-f5 zog – hinterlässt dieser Zug doch nach meinem Schlagen en passant ein böses Loch auf e5 und einen kümmerlichen Bauern auf e6. In Gedanken verdreifachte ich schon lehrbuchmässig meine Schwerfiguren auf der e-Linie, und für mich war der Bauer e6 schon so gut wie erobert. Was nun aber geschah, ist schier unglaublich, denn zu meinem eigenen Nachteil griff ich den geplanten Ereignissen dann doch etwas zu hastig vor! Ich schnappte also meinen Bauern e5, schob ihn nach f6 … und nahm den schwarzen Bauern e6 (!!) vom Brett. (Mein Computerprogramm nimmt diese Art des Schlagens beim besten Willen nicht an, und auch Vlastimil Hort würde an dieser Stelle sicher einwenden: „Gägän Rägäl!“).

16. e5 zieht nach f6 und nimmt den Bauern e6 vom Brett

Diagramm 2

Den Zug notierte ich zwar auf meinem Partieformular korrekt mit exf e.p., aber schon während des Aufschreibens beschlich mich plötzlich ein sehr merkwürdiges Gefühl – denn irgendetwas stimmte doch gerade nicht! Ich war aber ausserstande darüber weiter nachzudenken, denn beim Anblick der nun entstandenen Position traute ich meinen Augen kaum. Ich fragte mich entsetzt, wo denn der schwache Bauer e6 geblieben ist, wieso die e-Linie sperrangelweit offen steht, warum um alles in der Welt meine Dame urplötzlich in der Luft hängt … und auch noch mit Schach!! Nach ein paar Sekunden schaute ich meinen ebenfalls völlig konsternierten Gegner an und gab die Partie kopfschüttelnd auf. Es dauerte einige Minuten, bis wir beide verstanden haben, was da eigentlich gerade passiert ist – aber die Uhr war schon angehalten. Um etwaigen Nachschulungsangeboten zuvorzukommen: Inzwischen beherrsche ich das Schlagen en passant meisterlich!

Ein herrliches Beispiel und Entwicklungsvorsprung dankt dem Einsender. Fühlt man sich denn hiernach nicht inspiriert lieber Leser? Möchte man nicht auch seine kuriosen Fehler mit anderen teilen, wenn andere so unglaublich selbstlos sich hier outen? Der wahre Kern von Gens una sumus wird doch gerade erst ersichtlich.

Kommentare

7 Antworten zu “Die Gurke meiner Karriere (9)”

  1. .t0mmy am 06. März 2008, 12:26

    In der Turnierpraxis ist diese sehr aggressive en passantsche Abtauschvariante auch immer seltener zu finden! *scnr*
    Meine bisherige Lieblingsgurke!

  2. Dein Lieblingsschacher am 06. März 2008, 13:48

    Die Beste bisher. Auch, wenn freilich der weisse Plan doch noch zum Tragen gekommen wäre, hätte jemand den unmöglichen Zug vor der Aufgabe bemerkt.

  3. psammenitos am 06. März 2008, 17:44

    Warum fehlt denn im zweiten Diagramm der Bauer auf f6? Ich hab erst gar nicht begriffen wie der Schlagvorgang überhaupt vonstatten gehen sollte. e5 und e6 können sich doch nicht wie Materie und Antimaterie in Luft auflösen…. 🙂

  4. Georgios Souleidis am 07. März 2008, 13:42

    @psammenitos: Ich wusste gar nicht, was du zuerst meinst, doch dann wurde ich auch vom Unglücksraben per E-Mail benachrichtigt…und dann fiel es mir erst auf. Klar auf f6 müsste eigentlich ein Bauer stehen 🙂

  5. robert schmidt am 09. Juli 2008, 12:53

    Lieber Franko und liebe andere mitlesende Schachenthusiasten!

    Ich bin beim Streifen durchs Web auf ein „unglaubliches Plagiat“ allerdings mit entgegengesetzter Wirkung gestossen:

    http://www.schachimedes.at/html/tagebuch1.htm

    „En-passant-Verwirrung“ (Nr.1)
    Vom Schachfreund Stichl einfach wunderbar dargestellt!

  6. Franko Mahn am 09. Juli 2008, 22:14

    Mensch Robert!
    Absolut verrückt! Genau derselbe Spezial-Zug! – Wenn man mit dieser Art des Schlagens also doch Punkte einfahren kann, dann werde ich diesen Zug wieder in mein Repertoire mit aufnehmen.

  7. Manfred Herbold am 27. August 2008, 15:50

    Hallo Franko Mahn,

    ich schreibe gerade an meinem 1. Schachbuch „Der Schachtherapeut“, bei dem schachlich-witzige Unterhaltung im Vordergrund steht.

    Gerne würde ich deine Partie + deine Kommentare ins Buch mitaufnehmen.

    Von Herrn Dr. Stichlberger, dem Betreiber der Webseite ‚Schachimedes‘ habe ich bereits das Okay für die ähnlich abgelaufene En-passant-Partie.

    Ich würde mich freuen, wenn ich von dir auch die Erlaubnis bekäme.

    P.S. Deine Partie ist zwar rein rechtlich nicht geschützt, aber deine Kommentare schon.

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