Der Labello-Fall

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Vom 26.-30.12.2007 fand in Vandoeuvre (Frankreich) ein stark besetztes Weihnachtsopen statt. Die 20jährige Ungarin Anna Rudolf (ELO 2242) spielte gross auf und stand u.a. nach Siegen gegen GM Bauer und IM Marzolo sowie Remis gegen GM Lazarev und IM Kozhuharov vor der letzten Runde vor einem Riesenerfolg. Sie führte die Tabelle mit 6 aus 8 an und ein Remis hätte ihr wohl eine GM-Norm der Männer eingebracht. Natürlich war der Turniersieg auch möglich. In der letzten Runde traf sie auf IM Starostits und verlor, wonach ihr „nur“ eine GM-Norm für Frauen und der neunte Platz plus 300 Euro für die bestplatzierte Frau blieb ((Abschlusstabelle)).

Ich hatte das Geschehen über die Tage beobachtet und hätte mich über die Überraschung gefreut, auch wenn ich die Person nicht kenne. Nun lese ich auf Chessdom ((Chessdom)), dass einige Spieler über ihr unerwartet starkes Spiel not amused waren und sie tatsächlich beschuldigten, sie hätte die Hilfe einer Engine in Anspruch genommen. Namentlich sollen dies IM Krivonosov, GM Lazarev und IM Starostits sein. Laut dem Interview, das sie Chessdom ((Interview Anna Rudolf)) gab, sei den Spielern aufgefallen, dass sie viel zu häufig ihren Platz verlassen habe und ständig mit einem Labello-Lippenpflegestift hantiert hätte. Dieser Stift soll der wahre Grund für ihr starkes Spiel gewesen sein!

Vor der letzten Runde eskalierte das Ganze, als IM Starostits ihr vor der Partie den Händedruck verweigerte und sie des unfairen Spiels beschuldigte. Ausserdem wurden ihre Sachen kontrolliert und sie musste dem Schiedsrichter ihre Tasche aushändigen. Während der Partie hielt sie dem Druck nicht stand und wie oben schon erwähnt, verlor sie diese. Nach der Partie verliess die Spielerin heulend den Saal und war untröstlich. Es bedurfte einigen guten Zuredens, um sie später zur Siegerehrung zu bitten. Dem Ausrichter war der Vorfall sichtlich peinlich und er versuchte mit guten Worten die Wogen zu glätten.

Neben dem Interview ist auf Chessdom ein weiterer Bericht erschienen ((Ugly Story at Vandoeuvre Open)), in dem eine teilnehmende Person Vorfall aus ihrer Sicht schildert. Alle Einzelheiten, die ich hier nicht erwähnt habe, können auch dort nachgelesen werden.

Aus der Ferne lässt sich so eine Begebenheit natürlich kaum beurteilen, doch es hört sich mal wieder nach einer ziemlich lächerlichen Geschichte an. In Zeiten von Rybka und sonstigen Engines bzw. allerhand technologischer Möglichkeiten, wird man sich vielleicht daran gewöhnen müssen, dass einzelne Spieler oder Verantwortliche immer wieder absurde Beschuldigungen vorbringen, insbesondere wenn eloschwächere Spieler über ihr Niveau spielen. Was kann man machen? In den Berichten wird darauf hingewiesen, dass laut einer bestimmten FIDE-Regel es nicht erlaubt ist, den Gegner ohne stichhaltige Gründe – und starkes Spiel über Niveau kann kaum ein Grund sein – zu beschuldigen oder ihm ohne ersichtlichen Grund nicht die Hand vor der Partie zu reichen.

Chessdom will sich dem Fall weiterhin widmen und es bleibt abzuwarten, ob die Spielerin im Nachhinein die Möglichkeit hat, sich an die Ethik-Kommission der FIDE zu wenden. Es wäre zu wünschen, dass dieser Vorfall aufgeklärt wird, denn falls sich die genannten Spieler wirklich so verhalten haben, dann darf das nicht einfach übergangen werden.

Kommentare

5 Antworten zu “Der Labello-Fall”

  1. DeepBernard am 06. Januar 2008, 23:07

    Anna lebt ja mit Ihrem Mann in Düsseldorf und ich habe sie auch dort kennen gelernt. Sie ist äusserst nett,freundlich und eine absolut faire Spielerin. So habe ich Sie in Erinnerung.

    Die Vorwürfe passen in keiner Weise zu dem Charakter von Anna.

    Das Verhalten der GM`S erinnert mich an „Bauer sucht Frau….“, dass kontrollieren der Tasche von WIM Rudolph an die STASI.

    Demnächst haben die Schiedsrichter auch Gummihandschuhe und Taser „am Mann“. Es gibt ja viele Möglichkeiten der Verstecke….

    Also Anna! Lass Dich nicht unterkriegen. Wir stehen zu Dir!!!

  2. Georgios Souleidis am 06. Januar 2008, 23:12

    Bernard du Nase. Das ist Anna Rudolf, die Namensvetterin aus Ungarn!

  3. DeepBernard am 06. Januar 2008, 23:15

    Anna hat einen Vetter in Ungarn? Wusste ich garnicht 🙂

  4. Daniel am 06. Januar 2008, 23:18

    Ich finde es langsam unappetitlich, wie Spieler andere beschuldigen können Betrüger zu sein.

    Ohne Beweise sollte man sich davor hüten irgendetwas zu sagen.

    Irgendwann wird man Partien nur per ELO-Zahl abschätzen, ohne zu spielen, wenn jeder denkt, dass jeder Sieg eines Underdogs nur durch Betrug zustande kommt.

    Mir tut die junge Frau leid. Ich würde mich freuen, wenn sie weiter so gut spielt.

    Dem Händeschütteln messe ich persönlich sehr viel Bedeutung bei. Es ist eine Form des Respektzeigens, die weltweit gilt. Wer dazu nicht fähig ist, hat einen schlechten Charakter. Wenn ein Spieler einen anderen nicht mag, kann man sich seinen Teil denken beim Händeschütteln , aber diese Geste muss dabei sein. Aus Respekt vor dem Gegener und dem Spiel.

  5. Schachblog Rank zero am 07. Januar 2008, 07:51

    Zumal sich die Düsseldorferin Anna Rudolph, also mit ph statt f, schreibt…

    Ansonsten ein inzwischen nicht untypisches Verhalten eines gewissen Typus von Profispielern, wenn die Eloschwächeren nicht „wie es sich gehört“ umfallen. Dabei sollten die sich doch freuen, mit ihren überhöhten Startgeldern den gebührenbefreiten Titelträgern einen lässigen Lebensstil zu finanzieren und sich sonst nicht in die Preisvergabe einmischen (schon gar nicht über Schiebungen und Absprachen der GMs beklagen).

    Angesichts der technischen Entwicklung werden solche Vorwürfe so oder so zunehmen. Man kann mit dem Reglement gegensteuern – einmal mit Sanktionen für offensichtlich unbegründete Vorwürfe, aber es wird wohl andererseits nicht ausbleiben, dass irgendwann das Verweilen am Brett strenger reguliert wird (bzw. die bestehenden Regeln strenger durchgesetzt werden). Nicht schön – ich spaziere selbst sehr gerne herum – aber langfristig wohl ohne Alternative.

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