St. Pauli 2

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So, nach meinem Cliffhanger im letzten Beitrag habe ich euch ein wenig auf die Folter gespannt. Jetzt ist es aber soweit. Im zweiten Teil meines Rückblicks auf das St. Pauli Open analysiere ich die wichtigsten Momente der letzten zwei Runden, die für mich kaum besser hätten laufen können.

Vor der 8. Runde lag ich beim St. Pauli Open mit Niclas Huschenbeth an der Spitze des Feldes. Es kam also zum Kampf am ersten Brett. Gegen Niclas sich vorzubereiten, insbesondere mit Schwarz, ist keine Wonne, das kann ich euch sagen. Der Junge hat mit Weiß ein wasserdichtes Repertoire. Nach langem Nachdenken und intensiver Vorbereitung fand ich in eine interessante Idee im Grivas-Sizilianer, den ich seit einigen Jahren spiele, doch Niclas hatte das alles schon zu Hause auf dem Brett gehabt…

Huschenbeth,Niclas (2542) – Souleidis,Georgios (2398) [B33]
St. Pauli Open (8.1), 13.07.2013

1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Db6 5.Sb3 Sf6 6.Sc3 e6 7.De2 Lb4 8.Ld2 0-0 9.a3 Lxc3 10.Lxc3 e5 11.0-0-0 Te8!?

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Die vorbereitete Idee, die kaum Vorgänger hat. 12.h3!? Das kam postwendend und erwischte mich völlig auf dem falschen Fuß. Ich möchte nicht näher auf Details eingehen, da das kein Eröffnungsartikel ist, doch wollte ich zumindest darauf hinweisen, mit welchen Gedanken und Problemen ich mich vor und während der Partie beschäftigte. 12.f3 oder 12.g4?! sind hier u.a. bekannt. 12…a5 13.Df3 a4 14.Sd2 Dc5 15.Sc4 Te6

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Die Eröffnung ist zugunsten von Weiß verlaufen, doch das war, zumindest mir, zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst. Ich ging davon aus, dass ich hier mit dem Vormarsch des b-Bauern drohe und dass auf den „normalen“ Zug 16.Se3 sehr stark 16…Sd4 folgt. 16.Td5! Das kam überraschend. Der Zug hatte kurz meine Gedanken gekreuzt, doch ich nahm ihn nicht ernst. 16…Sxd5 17.exd5 Tf6 18.De3?

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Der einzige Zug, mit dem ich ernsthaft rechnete. In den ersten Minuten dachte ich, dass Weiß klar in Vorteil kommt, bis ich den nächsten starken Zug für Schwarz entdeckte. 18.De4 Tf4 19.De3 Txc4 20.Lxc4 Dxc4 21.dxc6 f6!= hatte ich auch berechnet. Doch 18.Dd1! entging mir, genau wie Niclas, völlig. Schwarz ist unterentwickelt und so unkoordiniert, dass er trotz Merhqualität noch nicht einmal ausgleichen kann. 18…d6 (18…Sd4 19.Sxe5 Sf5 20.De1+-; 18…Sa5 19.Sxa5 Txa5 20.De1! Ta8 21.Dxe5 Df8 22.Lb5 d6 23.Dd4+-) 19.dxc6 bxc6 20.Lb4 Dxf2 21.Sxd6± 18…Dxd5! 19.Sb6 Da2 20.Sxa8 Bis hierhin hatte ich gerechnet und dachte, dass irgendwas gehen müsse für Schwarz. 20…d5!? Hier verlor ich wegen aufkommender Nervosität ein wenig die Kontrolle, sonst hätte ich natürlich die Variante 20…Da1+ 21.Kd2 Td6+ 22.Ld3 Dxh1 23.Sb6 Dxg2 24.Sxc8 Tf6 berechnet. In einer praktischen Partie sollte Schwarz bei ungefähr gleichem Material wegen des schwachen weißen Königs die besseren Chancen besitzen. Allerdings ist 20…d5 ungefähr gleichwertig. Während der Partie fand ich die Stellung total unklar. 21.Sb6?! 21.Dc5! scheint der einzige Zug zu sein an dieser Stelle. Der Computer gibt 0.00 an 🙂

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21…Lf5?! Schwach. Wenn ich zu Hause ein Taktikbuch öffne und so eine Stellung in Ruhe berechne, dann brauche ich für die Lösung vieleicht eine Minute. Sobald Nervosität ins Spiel kommt, ändert sich die Situation dramatisch. 21…d4! verwarf ich wegen 22.Lxd4, doch Schwarz kommt in Vorteil. 22…Sxd4 (22…Td6 23.Ld3 Da1+ 24.Kd2 Dxh1 25.Lc5 Td8 26.De4 g6 27.Sd5 ist weniger klar) 23.Dxe5 und hier dachte ich, dass es nicht mehr weitergeht, da der Springer hängt und Weiß Matt droht – Unfug. 23…Da1+ 24.Kd2 Te6! 25.Dxd4 De1+ 26.Kd3 Td6! Gut, dass kann man mal übersehen. 27.Dxd6 Dd1+ 28.Kc4 Dxd6 29.Sxc8 Dc6+ 30.Kb4 Dxc8 mit klarem Vorteil für Schwarz. 22.De1! Jetzt hatte sich Niclas unter Kontrolle und fand diesen starken Zug, der mich mehr oder weniger zu 22…d4 zwingt, wonach Weiß die Stellung mit 23.Lc4! klärt. 23…Da1+ 24.Kd2 dxc3+ 25.Kxc3 Dxe1+ 26.Txe1

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Weiß hat einen Mehrbauern. Ich hatte die Partie abgeschrieben, doch ein Wunder rettete mich noch. Wie Niclas diese Partie noch verspielte, zeigt er in seiner Partienanalyse auf seiner Website.

Ich sprach das Problem mit den Nerven an. In der letzten Runde gelang es mir ruhig zu bleiben und durchgehend präzise zu rechnen. Das hatte den folgenden Effekt…

Souleidis,Georgios (2398) – Gutman,Lev (2455)
St. Pauli Open Hamburg (9.2), 13.07.2013

Stellung nach 34…Thh8:

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Hier befanden wir uns mit jeweils ca. 5 bis 8 Minuten in leichter Zeitnot. Nachdem die Partie sehr ausgeglichen verlaufen war, erkannte ich, dass ich hier etwas besser stehen sollte. Meine Figuren sind prima aufgestellt und ich habe keine Schwäche im Gegensatz zu Schwarz, dessen Läuferpaar zusätzlich nicht zur Geltung kommt. 35.Sb4! Ich spekulierte auf den naheliegendsten schwarzen Zug, den ich genau berechnet hatte. 35.e5 gewann einen Bauern, doch ich wollte nicht die Stellung für das schwarze Läuferpaar öffnen. Nach 35…fxe5 36.fxe5 d5 37.cxd5 Txc1+ 38.Sxc1 exd5 39.Lxd5 finde ich, dass sich der Vorteil in Grenzen hält. 35…a5? Das spielte Gutman fast automatisch. Die Maschine möchte auf Anhieb mit 35…Lc6! reagieren, aber Weiß steht auch danach besser, z.B. 36.Sxc6+ (36.f5!? Le8 37.Tb3 mit weißer Initiative) 36…Sxc6 37.cxb5 axb5 38.Tdc3 b4 39.Sc4 Db5 40.axb4 Sxb4 41.Dd1 und der schwarze König ist deutlich anfälliger als der weiße.

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36.c5! Ich bin im Nachhinein stolz, dass ich diesen Zug korrekt berechnete, schließlich war es die letzte Runde und es ging um den Turniersieg. 36…Txc5 37.Txc5 axb4 37…Dxc5?? verbietet sich natürlich wegen der Gabel 38.Sa6+ Die Pointe von 36.c5! 38.axb4!? Dieses Mal wahrscheinlich nur der zweitbeste Zug, den ich bewusst spielte. Ich ging allerdings kein erhöhtes Risiko ein, da Weiß auch bei bester schwarzer Spielweise Vorteil behält. 38.Th5± hatte ich gesehen, doch ich spekulierte auf… 38…dxc5?, den mein Gegner wieder fast automatisch zog. 38…Sc6! 39.Tc1 Sxb4 40.Ta3 mit weißem Vorteil war die Alternative. 39.Txd7+-

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Hier spürte ich, dass Schwarz keine Verteidigung haben dürfte. Der Läufer hängt und es droht verheerend der Vorstoß e5. 39…Te8 40.e5 f5 Nach 40…Sc6 ist 41.De4 Tc8 42.exf6 Lxf6 43.Td6 Kb7 44.Sb3 cxb4 45.Txc6 Txc6 46.Dxc6+ Dxc6 47.Sa5++- nur eine Variante, die gewinnt. 41.Tb7+ Dxb7 42.Lxb7 Kxb7 43.bxc5 Die Partie ist gelaufen. 43…Lxc5 44.Dxh4 Sc6 45.Sb3 Lb6 46.Dh5 Te7 47.De2 Ka6 48.h4 Sb4 49.h5 Sd5 50.g3 f6 51.h6 fxe5 52.Dxe5 1-0

Nach diesem Sieg harrte ich der Dinge und es sah für einen kurzen Moment so aus, als ob ich das Turnier gewonnen hätte, denn Sockos Bucholzpferdchen lahmten in der letzten Runde. Aber Henrik Teske zog letztendlich nach verfeinerter Bucholzwertung an mir vorbei, nachdem Niclas dessen Remisangebot nach acht Zügen in der letzten Runde abschlägig beschied, um sang und klanglos zu verlieren. Wie dem auch sei, der zweite Platz beim St. Pauli Open 2013 gehört zu den besten Ergebnissen meiner Schachkarriere. Und Spaß gemacht hat es auch nach über zwei Jahren mal wieder ein Turnier zu spielen.

Was bleibt, ist den rührigen Organisatoren zu danken für ein reibungsloses Turnier und die ganze Mühe, die sie sich bei so einer großen Veranstaltung mit mehr als 300 Teilnehmern machen. Ich kann mir gut vorstellen auch in Zukunft wieder dabei zu sein.

Kommentare

6 Antworten zu “St. Pauli 2”

  1. Schachexperte am 03. August 2013, 12:25

    Tote Hose hier auf der Website – genauso wie bei schachbundesliga.de – dabei sind jetzt z.B. die Aufstellungen der BuLi bekannt – mit zwei faustdicken Überraschungen.

    Der Weltmeister spielt nicht mehr für Baden-Baden und der Zoobesitzer darf trotz der letzten Saison wieder in Berlin ran!

  2. Rob am 04. August 2013, 13:52

    Ist halt Sommerpause,

    aber bei den Mannschaftsaufstellungen der SBL finde ich besonders Manuel Nothnagel (DWZ 1588) bei SV Griesheim lustig…

    Aber wieso soll der WM nicht mehr für B-B spielen? Anand steht doch weiterhin auf der Liste?

    Und I. Schneider hat immerhin eine GM-Norm bei Berlin letztes Jahr gemacht und fast immer an hohen Bretter sehr starke Gegnerschaft gehabt. Warum also „trotz“ letzter Saison?

    Richtig erschrocken bin ich allerdings bei Günter Schütz (als Abgang bei FC Bayern). Er hatte letzte Saison 3/3 in der 2. BL und ist der FC Bayern-Spieler und Funktionär schlechthin. Spielt er nicht mehr für Bayern?

  3. Georgios Souleidis am 04. August 2013, 13:57

    Bei Günther Schütz gehe ich davon aus, dass er in die 2. Mannschaft gerutscht ist, um Platz für einen der Neuzugänge zu machen.

  4. Schachexperte am 07. August 2013, 12:56

    Hi,

    warum passiert hier auf der Website nichts mehr. Eventuell einmal einen Beitrag über den neuen Betrugsverdacht in Dortmund – und das Rechtsverständnis des typischen deutschen Schachspielers.

    Es gilt nämlich – im Zweifelsfall für den Angeklagten – bisher ist es nur ein Verdacht – aber überall wird er bereits verurteilt.

    Welche Rolle haben dabei Hobbyjournalisten mit Ihrer Meinungsmache.

  5. Peter B. am 07. August 2013, 17:57

    Hallo Schachexperte,

    guter Vorschlag. Fang doch damit mal an dies hier mit Leben zu füllen und beantworte schon mal die Fragen von Rob.
    Zu dem Ausschluss von J.K kenne ich nur die Mitteilung auf der Webseite des Dortmunder Sparkassen-Chess-Meetings und ich weiß nicht ob weitere Spekulationen angebracht sind…

  6. Georgios Souleidis am 07. August 2013, 18:06

    @Schachexperte: Auf Schachwelt kannst du dich bezüglich J. K. prächtig an einer Diskussion beteiligen. Ich habe absolut keine Zeit für investigative Beiträge. Dass auf diesem Blog wenig passiert, ist schon lange der Fall.
    Spare dir bitte unsachliche Kommentare auch und insbesondere gegenüber Ilja Schneider, ansonsten lösche ich es sofort, sind nur 2-3 Klicks für mich.

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