St. Pauli 1

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Ich komme nicht umhin über das St. Pauli Open zu schreiben, das vom 6. bis 14. Juli stattfand. Schließlich gehörte ich zu den glücklichen Gewinnern und welcher Anlaß könnte treffender sein, um diesem eher ruhenden Blog einen Hauch von Leben zuzuführen?! Da das schachliche Material opulent ist, werde ich meinen Beitrag in zwei Teile splitten. Den ersten Teil widme ich meinem holprigen Start und einem wie ich hoffe für euch lehrreichen Endspiel. Dabei genieße ich eine Flasche „Cotes Du Rhone“ und Trickys neuen Geniestreich „False Idols“, um meiner darbenden Kreativität wenigstens ein paar unterhaltsame Zeilen zu entlocken.

Vor 2,5 Jahren spielte ich mein letztes Schachturnier in Stockholm. Mein Abschneiden beim Rilton Cup war dermaßen desaströs, dass ich, die üblichen Mannschaftskämpfe ausgeschlossen, bis zu diesem Sommer keine große Lust verspürte unserer aller großen Leidenschaft nachzugehen. Da ich inzwischen in Hamburg lebe, entschloss ich mich aber dem Turnier „vor der Haustür“ eine Chance zu geben, zumal allein das Wort St. Pauli, insbesondere für gerade Hinzugezogene, ein gewisses einladendes Echo hinterlässt.

Bis vor ca. sechs Wochen war ich in der Rangliste an Eins gesetzt. Ich fragte mal nach, wann sie denn die Listen aktualisieren mögen und erfuhr, dass es keine Konditionen für Titelträger gäbe. „Alles klar“. Zum Glück meldeten sich dann aber noch einige „Verdächtige“ an, so dass wenigstens ein wenig Arbeit auf mich wartete – nach dem Turnier kann ich die Klappe natürlich ein wenig aufreißen. Bevor ich mit den schachlichen Ereignissen beginne, möchte ich vorwegschicken, dass ich in der Turnierwoche zwar Urlaub hatte, dafür aber Besuch von Mama und das hieß „Touriprogramm Deluxe“ am Vormittag, bevor es nachmittags zum Millerntor ging.

Diese nicht ganz so optimale Rahmenbedingungen zeigten in der ersten Turnierhälfte ihre Wirkung. Ich verspürte zwar eine riesige Lust zum Spielen, doch es wollte teilweise nicht so laufen wie erwartet. Richtig viel Massel hatte ich in der dritten Runde.

Korba,Roman (2169) – Souleidis,Georgios (2398)
St. Pauli Open (3), 08.07.2013

Stellung nach 22.Lxf3:

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Aus einer harmlos aussehenden Variante der Englischen Eröffnung rutschte ich nach und nach in diese furchtbare Stellung rein. 22…b5? Entschuldigend für diesen unglaublich schlechten Zug möchte ich anmerken, dass ich ob einer kurzen Nacht müde und zusätzlich durch eine bei strahlendem Sonnenschein durchgeführte Hafenrundfahrt mit einem Sonnenbrand ausgestattet in die Partie ging. Ich sah sofort das Malheur. 22…Txa3 23.Txb7 Se5 24.Db4±; 22…Sc5 23.Df4 Td8 24.Dc7 Td7 25.Dc8+ Kf7 26.Dh8± 23.Df4? Was für ein Glück. Nach 23.Lxc6 fällt die schwarze Stellung auseinander. 23…Dxc6 verbietet sich wegen 24.Dxa5 und nach jedem anderen Zug fällt mindestens noch der Bauer b5. Schwarz könnte aufgeben. 23…Se5 Jetzt ist alles wieder halbwegs im Lot. 24.Dxd4 Sxf3+ 25.exf3 Txa3 26.Tc2 Da8 27.Dd6 Td8 28.De6+ Kh8 29.Dxc6 Dxc6 30.Txc6 Taxd3 31.Txb5 Weiß hätte mit 31.Kg2 den Bauern f3 retten und mich noch lange quälen können, doch mein Gegner war offensichtlich mit dem Remis hochzufrieden. 31…Txf3 ½-½

In der vierten Runde hatte ich ebenfalls Glück, dieses Mal gewann ich ein ausgeglichenes Endspiel und lag mit 3,5 Punkten unverschämt gut im Rennen.

Die zweite Turnierhälfte sollte deutlich besser verlaufen, ja ich spielte teilweise sogar richtig gutes Schach. In der fünften Runde gelang mir ein für meine Verhältnisse erstaunlich solides Remis mit Schwarz gegen GM Henrik Teske, der später das Turnier dank besserer Wertung vor mir beenden sollte. Die Partie hatte einige interessante Momente, die es vielleicht wert wären hier erläutert zu werden, doch das wird mir insgesamt zu viel. In der sechsten Runde gelang mir der einfachste Sieg gegen das Hamburger Urgestein Hauke Reddmann, bevor es in der siebten Runde zum ersten meiner beiden Marathonkämpfe in diesem Turnier kam. Ich rang den dänischen FM Bjarne Light nach über fünf Stunden nieder und setzte mich mit diesem Sieg zwischenzeitlich zusammen mit Niclas Huschenbeth an die Spitze des Feldes. Ich habe das Endspiel gut zwei Stunden analysiert und inzwischen das Gefühl, dass ich zumindest die groben Geheimnisse erfasst habe. Ich hoffe, ihr findet es ansatzweise lehrreich.

Light,Bjarne (2271) – Souleidis,Georgios (2398)
St. Pauli Open (7), 12.07.2013

Stellung nach 36.Sdf3:

light-souleidis

Schwarz hat sich aus der Eröffnung heraus einen strukturellen Vorteil – schwacher Bauer d3 – erarbeitet. Auch wenn die Stellung objektiv remis sein sollte, kann man auch sie weiterspielen, wenn man die richtigen Ideen hat. Wie lautet der Plan? Die Läufer und Damen müssen vom Brett, um Weiß kein Gegenspiel gegen den Bauern b6 oder den schwarzen König zu ermöglichen. 36…Lh6! 37.Lxh6 Kxh6 38.De4 Kg7 39.Sg1 Kf7 40.Se2 De7 41.Dxe7+ Kxe7

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Schwarz hat sein erstes Etappenziel erreicht, doch wie soll es weitergehen? Sinnvoll ist den Raumvorteil am Königsflügel auszubauen und versuchen dort einzudringen. 42.Kf1 42.Sf4 Kf7! 43.Kf1 g5 und Weiß muss den Springer wieder zurückziehen, da sich 44.hxg5 fxg5 45.Sxh5? wegen 45…Kg6 verbietet. 42…g5 43.Sc1 Se5 44.Ke2

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44…Ke6! Ich verzichtete auf den Tausch eines Bauernpaares, obwohl mir 44…hxg4 logisch erschien, doch ich sah nicht, wie man nach den folgenden Varianten weiterkommen soll: 44…gxh4 45.gxh4 Ke6 (45…Sg6 46.Sg2 Ke6 47.f4 Kf5 48.Kf3=) 46.Sg2 Kf5 47.f3 (47.f4? erlaubt das Einsteigen des schwarzen Springers. 47…Sg4 48.Kf3 Sh2+ 49.Kg3 Sf1+ 50.Kf2 Sd2 51.Kg3 Sb1 52.Se1 Sc3 53.Sf3 Sca2 54.Sxa2 Sxa2-+) 47…Sg6 48.Kf2= 45.Sf3? Weiß verbleibt mit einem schwachen Springer und einem schwachen König. Er hätte analog zu den vorher angegebenen Varianten spielen können, doch auch dann scheint Schwarz über Gewinnchancen zu verfügen, da er mit seinen Figuren langsam aber sicher am Königsflügel eindringen kann. 45.Sg2 Kf5 46.f3 (46.f4 Sg4! 47.Kf3 Sh2+ 48.Kf2 Kg4 49.fxg5 fxg5 50.hxg5 Kxg5 51.Se1 Sg4+ 52.Kf3 Kf5 53.Ke2 Se5 mit schwarzem Vorteil) 46…Sg6 47.Kf2 gxh4 48.gxh4 Sf4 49.Sxf4 Kxf4 50.Se2+ Ke5 51.Sc1 f5 52.Ke2 Sc6 53.Kf2 Se7 54.Se2 Sg6 55.Kg3 f4+ 56.Kh3 Kf5 57.Sc1 Schwarz bringt mit einem Dreiecksmanöver seinen Gegner in Zugzwang und gewinnt einen der schwachen Bauern: 57…Ke6 58.Se2 Kf6 59.Sc1 Kf5 60.Se2 Se5-+ 45…Sxf3 46.Kxf3 Kf5 47.hxg5 47.Kg2? gxh4 48.gxh4 Kg4-+ 47…fxg5 48.Kg2

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48…g4? Schade. Der Zug macht nur Sinn, wenn Weiß 49.f3 spielt. Die Stellung nach 48…Kg4! 49.f3+ Kf5 scheint gewonnen zu sein. Ich ging davon aus, dass es nach 50.Kf2 h4 51.Kg2 nicht weitergeht, doch Weiß gerät in Zugzwang: 51…Sc2! 52.Kf2 h3 53.Kg1 (53.g4+ Ke5 54.Kg3 h2 55.f4+ gxf4+ 56.Kxh2 Kf6 57.Kg2 Kg5 58.Kh3 Sb4-+) 53…Sb4 54.Kh2 g4 55.f4 Man sollte meinen, dass diese Stellung remis ist, doch Weiß gerät wieder in Zugzwang und der weiße König ist in der Ecke gefangen. 55…Sc2 56.Se2 Se1 57.Sc1 Sf3+ 58.Kh1 Kg6 59.Se2 Kf6 60.Sc1 Kf5 61.Se2 Sd2 62.Sc1 Sf1 63.Se2

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Analysediagramm

63…Sxg3+! 64.Sxg3+ Kxf4-+ 49.f3? Weiß sollte der Dinge harren und die Stellung geschlossen halten. 49.Kg1 Kg5 50.Kg2 h4 51.Kh2 h3 Witzig ist, dass Schwarz laut Houdini auf Gewinn steht (-1.81), doch er kann hier trotz des optischen Übergewichts nicht gewinnen. 52.Kh1 Kf5 53.Kg1 Sc6 54.Kh1 Se5 55.Kh2 Sf3+ 56.Kh1 Kf6 57.Se2 Sd2 58.Sc1= 49…gxf3+ 50.Kxf3 Sc6 51.Ke2 Se5 52.Kf2 Kg5 53.Kf1 Sg4 54.Kg2 Se5 55.Kf2 Kg4 56.Kg2 Sf3 57.Kf2 Se5 58.Kg2 Sc6 59.Se2 Se7 60.Kf2 Sf5 61.Kg2 Se3+ 62.Kf2 Sd1+ 63.Kg2 Sc3 64.Sg1 Sd1 65.Se2 Se3+ 66.Kf2 Sf5 67.Kg2

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Wir befanden uns schon längst im Increment-Modus. Ich hatte ein wenig hin- und hergezogen, doch diese Stellung konnte ich jederzeit erzwingen. 67…h4 68.gxh4 Sxh4+ 69.Kf2 Sg6 Weiß steht mit dem Rücken zur Wand, doch es ist unklar, ob Schwarz gewinnen kann. 70.Sc1? Danach ist es trivial. Schwarz dringt mit seinem König ein. 70.Kg2 Se5 (70…Sf4+? 71.Sxf4 Kxf4 72.Kf2=) 71.Sc1 Kf4 72.Kf2 Sg4+ 73.Ke2 Kg3 74.b4! Die einzige Chance. (74.Sa2 Se5 75.Sc1 Kg2 76.Sa2 Sg6 77.Sc1 Sf4+ 78.Kd2 Kf3-+) 74…axb4 (74…cxb4 75.c5! bxc5 76.Sb3 Das Gegenspiel scheint auch hier auszureichen.) 75.Sb3 Se5 76.a5 bxa5 77.Sxc5 (77.Sxa5 Sg6 78.Sb3 Sf4+ 79.Kd2 Se6 80.Ke2 Kg2 81.Sa5 Sf4+ 82.Kd2 Kf2 83.Sb7 Se6 84.Sa5 Sd8 85.Sb3 Sb7 86.Sc1 Sa5-+) 77…Sc6 78.Sa4 und hier finde ich keinen Gewinn. Weiß blockiert zuverlässig die schwarzen Freibauern. 78…Kf4 79.Kd2 Ke5 80.Kc2 Sd8 81.Kb1 Se6 82.Kb2 Kd6 83.Kb3 Sc5+ 84.Sxc5 Kxc5 85.Ka4= 70…Sf4 71.Ke1 Kf3 72.Kd2 Kf2 73.Sa2 73.b4 axb4 74.Sb3 Se6 75.a5 bxa5 76.Sxa5 Sd8 77.Sb3 Sb7 78.Kd1 Ke3-+ 73…Se2 74.Kd1 Ke3 75.Kc2 Sf4 76.Sc1

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76…Sg6 Schwarz überführt den Springer nach b4 und gewinnt. 77.Kd1 77.b4 cxb4 78.Sb3 Se5 79.c5 bxc5 80.Sxc5 Sxd3!-+ 77…Se5 78.Kc2 Sc6 0-1

Im zweiten Teil, Erscheinung ist irgendwann für die nächsten Tage geplant, werde ich etwas zu meinem spannenden Remis gegen Niclas Huschenbeth und meinem abschließenden Sieg gegen Lev Gutman schreiben, der dazu führte, dass ich das St. Pauli Open als geteilter Sieger beendete.

Kommentare

10 Antworten zu “St. Pauli 1”

  1. Peter B. am 18. Juli 2013, 09:20

    Wunderbar, Huschenbeth hat auf seiner Webseite auch die Partie gegen dich analysiert…

  2. Buck Lava am 18. Juli 2013, 23:25

    Bravo!

    Ich stand fast eine ganze Minute vor diesem Artikel und applaudierte rhytmisch.
    Wahrscheinlich werden wir um Dezember herum, in jedem TV-Jahresrückblick diese Sternstunde des Sports erneut bewundern können.

    Danke!

  3. Georgios Souleidis am 18. Juli 2013, 23:29

    Bester Kommentar ever 🙂

  4. Teskes Freund am 20. Juli 2013, 14:37

    Ich hoffe, dass die Flasche “Cotes Du Rhone” gemundet hat, doch muss ich Wasser in den Wein mischen. Warum bezeichnest du dich als „geteilter Sieger“ des St. Pauli Opens? Laut Ausschreibung entschied bei Punktgleichheit „1. Buchholz 2. Buchholzsumme 3. Anzahl der gewonnenen Partien“. Dem entsprechend lautet die Abschlusstabelle: 1. Teske, 2. Souleidis, 3. Socko. „Geteilt“ wurde nichts, weder die Platzierung, noch das Preisgeld. Hoffentlich sind die Partieanalysen von mehr Objektivität geprägt. Trotzdem Gratulation von mir zum – ungeteilten – zweiten Platz.

  5. SirSchratz am 21. Juli 2013, 12:10

    …. und was war dann eigentlich mit St.Pauli?

    Ich les‘ extra den ganzen Artikel durch und es ist NUR Schach und nix St. Pauli! Kommt das im zweiten Teil?

  6. Kleiner Ilja am 21. Juli 2013, 22:57

    Und wird auch verraten, was mit dem Preisgeld gemacht wurde. Hast du die neue Geschäftsführerin vom Schachbund zum Essen eingeladen…oder habt ihr Euch gleich auf der Reeperbahn einquartiert..:-)

  7. Peter B. am 22. Juli 2013, 08:22

    … er hatte doch Besuch von Mama, da is nix mit Reeperbahn …

    aber wo bleibt Teil2?

  8. Georgios Souleidis am 22. Juli 2013, 09:28

    Peter, nicht ungeduldig werden bitte. Das Wetter ist grad so schön, da habe ich wenig Lust zu Hause zu sitzen und Berichte zu schreiben 🙂

  9. Stefan am 22. Juli 2013, 19:11

    Georgios hört Tricky? Hey, der Mann hat Musikgeschmack. Respekt!

  10. Kleiner Ilja am 23. Juli 2013, 17:08

    Mama kann doch bei der Auswahl der Schwiegermutter mithelfen. Und das Vollstrecken im Endspiel wird Georgios auch alleine hin bekommen *g*

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