Der entscheidende Punkt

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Nachdem es die Fans aus dem hohen Norden gefordert haben – vgl. Kommentare zum letzten Beitrag ((http://entwicklungsvorsprung.de/?p=260#comments)) – hier das Dankeschön von Sebastian Siebrecht an alle, die ihm die Daumen gedrückt und ihm in den letzen Tagen ihre Glückwünsche überbracht haben. Sehr lebendig schildert der Bald-GM seine Gedanken vor, während und nach seiner letzen Partie in Bratto, die ihm verdientermassen den GM-Titel einbrachte:

Siebrecht,Sebastian (2431) – Bagaturov,Giorgi (2474) [D05]
Bratto Open (9), 31.08.2007

[Siebrecht,Sebastian]

Letzte Runde. Der entscheidene Kampf. 1.d4 Sf6 2.Sf3 e6 Die Vorbereitung teilte sich in 2 Hauptaspekte: Nimzoindisch und Königsindisch (Auslosung um 21.45h, Runde 9.30h, Schlaf konnte aufgrund der Anspannung leider nur für 2 Stunden durchgesetzt werden, ansonsten kreisten alle mögliche wilden Gedanken und Varianten in meinem Schädel). 3.e3 Trotz stundenlanger Vorbereitung das altehrwürdige Colle-System, da ich merkte, dass Bagaturov mit geschlossenen Strukturen am meisten Probleme hat. Aber natürlich war somit die meiste Zeit der Vorbereitung umsonst. 3…c5 So hatte Bagaturov bisher noch nie gespielt… 4.Ld3 Sc6 5.0-0 d5 6.b3 Le7 7.Lb2 0-0 8.Sbd2 b6 9.Se5

Diagramm 1

Hinein in die Stellung. Wenn Schwarz nicht nimmt, folgt f4 mit anschliessendem Königsangriff. 9…Sxe5 10.dxe5 Sd7 11.Dh5 Droht Matt 😉 11…g6 12.Dh6 f5 Weiss hat schon viel erreicht. In der Folge konnte ich mich jedoch nicht für einen Plan entscheiden, sondern kombinierte die Öffnung der d-Linie mit dem Königsangriff. Vermutlich hätte ich mich auf eine Sache beschränken sollen. 13.f4 (13.exf6 Lxf6 14.Lxg6 De7! Lange gerechnet, ob ein Figurenopfer mit anschliessenden f4 und Tf3 ausreichen würde!) 13…Tf7 14.c4 Sf8 15.Tad1 Lb7 16.Sf3 Dc7

Diagramm 2

17.h3?! Der Beginn eines zu agressiven und falschen Planes. Durch anschliessendes g4 wird der eigene König zu sehr geschwächt (typisch Siebrecht) und interessanter Weise steht die eigene Dame bald völlig falsch und droht verloren zu gehen. (17.Sg5 Lxg5 18.Dxg5 Td8 19.Le2±) 17…Td8 18.g4 dxc4 19.bxc4 Td7 20.gxf5?

Diagramm 3

(20.Le2! Und alles ist noch in Ordnung für Weiss.) 20…Lxf3! 21.Txf3 (Falls: 21.fxe6 Sxe6 22.Txf3 Dd8! und der Damenverlust ist nicht wirklich zu vermeiden..Idee:Lf8) 21…Txf5! 22.Tg3 Txd3! 23.Txd3 Kf7

Diagramm 4

Weiss steht objektiv auf Verlust. Ich sah 24. Tg5, Lxg5 und anschliessendes Dc6 und nach zB. 25.Dh4 Dc6 26.Td8 Kg8!, wonach Df3 mit völliger Kontrolle nicht zu verhindern ist. 24.e4!? Impliziert ein Damenopfer auf Chance, da die Alternative nicht besonders erquickend war.. (24.Tg5 Lxg5 25.fxg5 Dc6 26.Td8 Kg8!) 24…Th5 25.Dxh5 gxh5 26.f5 Sd7 27.f6 Sxe5??

Diagramm 5

Schwarz möchte alle Komplikationen umgehen und ihm schwebt ein Endspiel S gegen L mit Mehrbauern und lauter schwachen weissen Bauern vor. Laut des Augenzeugenberichtes von Markus Schäfer muss Bagaturov schon nach fxe7 überrascht geschaut haben. 30.Lf6 (Thema Verschliessung der Diagonale durch den Springer, dann wieder Öffnung der langen Diagonale) muss er defintiv übersehen haben. (27…Lf8 28.Tg5 Lh6 29.Txh5 Kg6 30.Th4 Sxe5 31.Tg3+ Lg5 32.Lxe5 Dxe5 33.Thg4 Kxf6-+) 28.fxe7! Ich selbst traute meinen Augen nicht. Wir befanden uns beide in Zeitnot, aber ich merkte wie aus einer Verluststellung allmählich wieder mehr als Hoffnung zu spüren war. 28…Sxd3 (28…Sg6 29.Tgf3+ Kxe7 30.Lf6+ Ke8 31.Td8+ Dxd8 32.Lxd8 Kxd8 33.Tf7+-) 29.Tg7+ Ke8 30.Lf6!

Diagramm 6

Vermutlich hatte Schwarz bei 28..Sxd3 nur mit 30. Tg8+ Kxe7 31.Tg7+ Kd8 32.Txc7 Kxc7 -+ gerechnet. 30…Dd7 31.Tg8+ Kf7 Da wir mit dem 30 sec Bonus spielten (100min/40 Züge + 50 min jeweils plus 30 sec) konnte ich hier nochmal in Ruhe rechnen, ob ich mit einer bequemen Mehrqualität (z.B.: 33. e8D Dxd7 34.Txe8 Kxf6) oder noch mehr „rausgehen“ konnte. 32.Tf8+ Kg6

Diagramm 7

33.Lh4! Dd4+ 34.Lf2 Noch zwei, drei genaue Züge und es ist vollbracht..dachte ich.. 34…Da1+ 35.Kg2 Kh6 36.Le3+ Kg7 37.e8D Db2+ 38.Lf2

Digramm 8

Jaaaa!!
Es ist wirklich geschafft.

Nachdem ich insgesamt fünfmal die letzte GM-Norm um einen halben Punkt verpasst habe, hat es dieses Mal gefruchtet.

Diese Partie war für mich selbst keine grossmeisterliche Leistung, aber in Verbindung mit den vorherigen Runden blieb ich in diesem Turnier gegen 6 GM aus 5 Nationen ungeschlagen und kann aufgrund meiner Erfahrung (siehe Luxemburg, Dresden, Cannes, Amsterdam etc.) nur sagen, dass dieses Quentchen Glück auch definitiv dazugehört.

Die Nerven haben mir oft genug einen Streich gespielt.
Ab und zu klappt es wirklich mit einer wahrhaft guten Partie.
Aber dieses Mal war es Kampf pur.
Erst gut gestanden. Dann alles wieder verspielt, aber zurückgekämpft.
Glück gehabt, kann man auch sagen..

Dritte Norm alles schön.

Grossmeister!!
1-0

Kommentare

2 Antworten zu “Der entscheidende Punkt”

  1. Falko Meyer am 05. September 2007, 15:51

    thx, für Schachbanausen ist es übrigens sehr ästhetisch, wie T+L hier D+S vom Mattsetzen abhalten, auch wenn mir der Springer persönlich natürlich leid tut 😉

  2. Jan Sprenger am 25. September 2007, 10:23

    Gratuliert habe ich ja schon persönlich, aber dass das so ein dramatisches Ding war… Chapeau!

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