Am Wochenende fanden die dritte und vierte Runde der Frauenbundesliga statt. Bernard Verfürden von DeepChess!!! Media machte mir den Vorschlag, bei den Damen in Mülheim vorbeizuschauen. Ich hatte eigentlich was vor, doch da sich kurzfristig meine Pläne änderten, sagte ich zu.

Kurz vor 14 Uhr kamen wir im Mülheimer Schachklub an. Ich sah mich um und erblickte viele Frauen, die Mannschaftsführer, einen Schiedsrichter sowie ein paar lokale Kräfte für die Liveübertragung und die Küche. Offensichtlich waren wir die einzigen Besucher. Sarah Hoolt vom Hamburger SK kam auf mich zu und fragte: „Was machst du denn hier?“ Eine berechtigte Frage. Ich antwortete: „Ich hatte nichts besseres zu tun.“

Sarah Hoolt

Sarah Hoolt

Die Partien der Kämpfe SV Mülheim Nord-Rodewischer Schachmiezen und Hamburger SK-USV Volksbank Halle begannen. Bernard fing mit seinen Kameras zu filmen an und ich machte pflichtbewusst und meiner Anwesenheit einen Sinn verleihend ein paar Fotos.

Dann gönnte ich mir eine lockere Trainingseinheit und schaute mir die Partien reihum an. Nach einiger Zeit konzentrierte ich mich auf die Begegnung zwischen Sarah Hoolt und Anna Sharevich, da eine Variante aufs Brett kam, die mir für mein Repertoire interessant erschien. Sarah war offensichtlich gut vorbereitet. Während sie die ersten 10 bis 15 Züge schnell aufs Brett brachte, fing die Weißrussin schon nach 10 Zügen an, länger nachzudenken.

Anna Sharevich

Anna Sharevich

Am Sonntag befasste ich mich ausführlich mit dem weißen Konzept, da es mir sehr schlüssig erscheint. Anbei meine Analyse für diesen Beitrag.

Hoolt,Sarah (2286) – Sharevich,Anna (2267) [B41]
Frauen-Bundesliga 2011/2012, 26.11.2011

1.e4 c5 2.Sf3 e6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 a6 5.c4 Sf6 6.Sc3 Dc7 7.a3 b6 8.Le3 Lb7 9.f3 Sc6 10.b4

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Ein interessanter Aufbau gegen den Paulsen-Sizilianer. Ich spiele normalerweise 5. Ld3 oder auch mal 5. Sc3. Also wollte ich mir was abschauen. 10…Tc8?! Das erscheint mir nach dem Studium einiger Partien ungenau, weil es einerseits die Entwicklung vernachlässigt und andererseits unklar ist, auf welchem Feld dieser Turm postiert werden sollte. 10…Le7 11.Le2 (In der Partie Mareco,S (2356)-Flores,D (2541), San Luis 2007, geschah 11.Tc1!? Se5 12.Sa4 0-0 13.Sb3 Lc6?! 14.Sxb6 Tad8 und jetzt hätte 15.Le2 den Vorteil bewahrt.) 11…0-0 12.0-0 a5 13.Sdb5 Db8 14.bxa5 Sxa5 15.Lxb6?! (15.Sa4!) 15…Tc8 mit Gegenspiel in Dominguez Perez,L (2719)-Kamsky,G (2729)/Almaty 2008. 11.Tc1 Se5 12.Le2 Sg6?! Schwarz vernachlässigt weiter die Entwicklung, die mit 12…Le7 vorangetrieben werden sollte. Das Schlagen auf c4 verbietet sich: 12…Sxc4? 13.Lxc4 Dxc4 14.Sce2! Da2 15.Txc8+ Lxc8 16.Dc1 Lb7 17.Dc7+-. 13.Dd2 In Anbetracht der Tatsache, dass Schwarz zumindest zwei Tempi verschenkte, kam sofort 13.Sa4 in Frage. Nach 13…d6 14.Sb3 Sd7 15.c5 dxc5 16.bxc5 b5 17.Sb6 Td8 18.Dc2 sehe ich leichten Vorteil für Weiß. Es droht der Abtausch auf d7 nebst der Gabel c6 und früher oder später ist der Tausch des Läufers auf b7 gegen einen der weißen Springer nicht zu vermeiden.

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13…h5? Ein unsinniger Zug. Schwarz träumt von einem Angriff am Königsflügel, obwohl die positionellen Grundlagen nicht geschaffen sind. 14.Sa4 Tb8?! Während der Partie dachte ich, dass Schwarz 14…d6 spielen sollte, um auf 15.Sb3 mit 15…Sd7 zu reagieren. Interessant ist auch 14…Ld6!? 15.Sxb6 Td8 (15…Dxb6? 16.c5±) 16.c5 (16.g3?! h4 mit Gegenspiel) 16…Lxh2 17.Sc4 und dank der Kontrolle des Zentrums, sollte Weiß besser stehen. 15.c5 Die logische Alternative bestand in 15.Sb3 La8 16.c5 b5 17.Sb6 Le7 18.0-0 mit weißem Vorteil. 15…b5 16.Sc3 16.Sb6 mit der Idee 17. a4 ist noch stärker. Vor allem weil sich 16…d6? wegen 17.Lxb5+! axb5 18.Sxb5 Dd8 19.cxd6+- verbietet. 16…Lc6 17.0-0 h4?! Schwarz macht weiter keine Anstalten, sich zu entwickeln. Wenigstens kann man Sharevich nicht Inkonsequenz vorwerfen. 18.a4!+-

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Weiß steht ab hier auf Gewinn. 18…e5?? Ich schätze mal, dass sich Schwarz auf der verzweifelten Suche nach Gegenspiel dazu genötigt sah. Positionell ist es aber ein unglaublich schlechter Zug. Schwarz gibt ohne Not die Kontrolle über die Felder d5 und f5 her. Die Weißrussin hätte sich wohl oder übel auf 18…bxa4 19.Lxa6 h3 20.g3 a3 einlassen sollen. Auch wenn Weiß weiterhin auf Gewinn steht, bedarf es bei der Verwertung des Vorteils einer viel präziseren Vorgehensweise als in der Partie. 19.Sf5 Sf4 20.Lxf4 exf4

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An dieser Stelle war ich wieder zu Hause und verfolgte die Liveübertragung. Mir fiel sofort auf, dass ob des im Zentrum belassenen schwarzen Königs 21. e5 eine Option sein muss. Generell stellt sich die Frage, was Schwarz in dieser Stellung überhaupt noch machen kann. Offensichtlich ist …bxa4 nebst Angriff auf den Bauern b4 die einzige Möglichkeit auf Gegenspiel. Dementsprechend sollte man zuerst auf b5 tauschen. 21.Sd5?! 21.axb5! axb5 22.e5 (22.Dd4 mit völliger Dominanz ist gleichwertig, deswegen kein Rufzeichen für 22. e5) 22…Dxe5 (22…Th5 23.Sd6+ Lxd6 24.exd6 Db7 25.Dxf4+-) 23.Ld3 Kd8 24.Tfe1 Dc7 25.Sd4 h3 26.Scxb5 Db7 27.Dxf4 Lxb5 28.Lxb5+- 21…De5 22.Sxf4 g6 23.Sd3 Eindeutig nur das Zweitbeste. 23.Sd6+! Lxd6 24.cxd6 und wegen der Drohung 25. Tc5 muss Schwarz einen Klimmzug machen, um die Dame zu retten. 24…Sh7 25.axb5 axb5 26.Tc5 Dg7 27.Sd5+- mit Material- und Positionsvorteil. 23…Dc7 24.Db2 gxf5 25.Dxf6 Th6 26.Dxf5 Lg7

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Weiß steht mit zwei Mehrbauern immer noch auf Gewinn, aber die schwarzen Figuren sind zum Leben erwacht. 27.Sf2? Es musste endlich die Situation am Damenflügel geklärt werden. Dementsprechend kommt sowohl 27.a5 als auch das rechenintensive 27.axb5 in Frage. Es tut mir beim Nachspielen weh, dass Sarah während der gesamten Partie auf axb5 verzichtet hat. 27…bxa4 Jetzt hat Schwarz völlig unnötig etwas Gegenspiel. Dieser Freibauer wird Schwarz am Ende das Leben retten. 28.Sg4 Te6 29.Lc4 Lb5 30.Lxe6 dxe6 31.Dg5 Ld4+ 32.Tf2 Nachfolgend häufen sich bei knapper Zeit die Fehler. 32…De7?! 32…a3 33.e5 a2 (33…Dd8 34.Sf6+ Kf8 35.Dh6+ Ke7 36.Dxh4 Kf8 37.Dh6+ Ke7 38.Dg5+-) 34.Sf6+ Kf8 35.Dh6+ Ke7 36.Sd5+! exd5 37.Dxh4+ Kf8 38.Dxd4+- 33.Dg8+ 33.Df4! Td8 (33…e5? 34.Dh6+-) 34.e5 Lxf2+ 35.Kxf2+- 33…Df8 34.Dh7 a3

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35.Kh1? 35.e5! mit der Idee 36. Sf6+ nebst 37. Dxh4 gewinnt. 35…Lxf2 36.Sxf2 Lc6 Nach 36…a5 hätte Weiß im Gewinnsinne 37.Dxh4 (37.bxa5 a2 mit Gegenspiel) 37…axb4 38.Sg4 spielen müssen. Die Drohungen gegen den schwarzen König sind so stark, dass die verbundenen Freibauern nicht genügend Gegenspiel sichern. 37.Sd3 a5

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37…a2 ist sehr kompliziert. 38.Ta1 (38.h3!?) 38…Lb5 (38…Td8 39.Se5 Td2 (39…La4 40.c6 Lb3 41.h3+-) 40.h3! Tb2 41.Kh2+-) 39.Se5 Lc4! 40.Dxh4! (40.Sxc4 Txb4 41.Sa3 Dxc5 42.Dh8+ Ke7 43.Dxh4+ Kd7 44.h3 Tb2 mit Gegenspiel) 40…Dg7 (40…Txb4? 41.Td1!+-) 41.f4 Txb4 42.Td1 Ld3 43.Sc6 Kd7 44.Sxb4 a1D 45.De1! Dab2 46.Df1 Kc7 47.Sxd3+- 38.bxa5? Nach diesem Fehler sollte Weiß sogar verlieren. 38.Se5! gewinnt. Vielleicht hatte Weiß Angst, dass zwei verbundene Freibauern vor der Haustür entstehen können. 38…Tc8 (38…axb4? 39.Sxc6 b3 40.Sxb8 b2 41.Td1 a2 und hier setzt Weiß nach 42.Dxh4 auch wenn nicht kurzzügig matt.) 39.Sc4+- und wegen der Drohung 40. Sd6+ geht der Bauer a5 verloren. 38…a2 39.Dxh4

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39…Tb3? 39…Tb1! hätte den Spielverlauf auf den Kopf gestellt. Nach 40.De1 Txc1 (40…a1D? 41.Txb1 Dd4 42.Tb8++-) 41.Dxc1 Dh8! 42.e5 (42.Sb2? Dc3!-+) 42…Dh4 43.Da1 Ld5-+ kann Weiß nicht verhindern, dass sich die schwarze Dame dem Feld b1 annähert. 40.De1?! 40.Df2 Txd3 41.Dxa2 Dxc5 42.Da1= 40…Txd3 41.Ta1 Dxc5 41…Ta3! 42.Df2 Txa5 43.Txa2 Txa2 44.Dxa2 Dxc5 mit leichtem Vorteil für Schwarz, der aber wegen des reduzierten Materials nicht zum Gewinn ausreichen sollte. 42.Txa2 Dd4 43.Ta1 Te3 44.Dc1 Tc3 45.De1 Te3 46.Dc1 Tc3 47.De1 ½-½

Ein kurzes Fazit zu dieser „spannenden“ Partie, auch um geschlechterspezifischen Kommentaren vorzubeugen: Die vielen Fehler sind bei dieser Spielstärke völlig normal, gerade in Zeitnot und in komplizierten Stellungen. Da weiß ich, obwohl nominell besser als diese Damen, einen fetten Schlager zu singen. Offensichtlich ist aber, dass Sarah eine bessere fachliche Beratung benötigt, um, falls sie es überhaupt möchte, ihre Technik zu verbessern und Sharevich ihre Systeme mal genauer anschauen sollte – das war keine Nebenvariante, die gespielt wurde.

Bernard hat auf DeepChess!!! Media einen Beitrag veröffentlicht. Neben seinem Video kann man meine restlichen Fotos bewundern.

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