In letzter Zeit habe ich mir einige Trompovsky-Partien angeschaut. Mit Schwarz hatte ich mich bislang nur sehr stiefmütterlich damit beschäftigt und wenn es aufs Brett kam, spielte ich immer „irgendwas“. Mit Weiß finde ich es interessant, da man mit wenig Aufwand sich darauf basierend ein 1. d4-Repertoire aufbauen kann. Bei der Durchsicht der Partien war eine dabei, die hervorragend in diese Rubrik passt. Schwarz vernachlässigt seine Entwicklung und kommt sehr schnell unter die Räder.

Mamedyarov,Shakhriyar (2731) – Nedev,Trajko (2525) [A45]
38. Olympiade Dresden (1), 13.11.2008

1.d4 Sf6 2.Lg5 Se4 3.Lf4 c5 4.f3 Sf6 5.dxc5

5…b6!? Ein interessantes Gambit an dieser Stelle. 5…Da5+ kommt häufiger vor. 6.e4 Weiß dreht den Spieß um. Anstatt dem Schwarzen Entwicklungsvorsprung zuzubiligen, arbeitet er an seiner Figurenentwicklung. Nach 6.cxb6 Dxb6 hat Schwarz Kompensation. 6…bxc5 7.e5

Dieser Vorstoß scheint verfrüht zu sein, Schwarz muss nur richtig reagieren. 7.Sc3 Sc6 (7…d6?! 8.e5 dxe5 9.Dxd8+ Kxd8 10.0-0-0+ Sbd7 11.Lxe5± Carlsen,M (2552)-Ganguly,S (2582), Dubai 2004) 8.Lc4 d6 9.e5 (9.Sge2!?) 9…dxe5 10.Dxd8+ Kxd8 11.0-0-0+ Kc7 12.Le3 mit Kompensation in Iotov,V (2532)-Babula,V (2608),Kallithea 2008. 7…Sg8?! Den Springer auf sein Ausgangsfeld zurückzuziehen, kann es nicht sein. Weiß erhält in der Folge schnell Entwicklungsvorsprung. 7…Dc7! ist stark und kam laut meiner Datenbank in zwei Partien zwischen den gleichen Spielern vor. 8.Sc3 (8.Lc4 e6 9.Sc3 Sc6 10.Sb5?! Db8 11.exf6 Dxf4 mit klar besserer Stellung für Schwarz in Puranen,J (2315)-Rytshagov,M (2485), Helsinki 1995) 8…Sc6 9.exf6?! (9.Dd2 Sxe5 10.Sb5 Db8 11.0-0-0 a6 12.Lxe5 Dxe5 13.Da5 axb5 14.Dxa8 Dc7 15.Lxb5 g6 gibt Rybka stattdessen an. Die Stellung ist unklar.) 9…Dxf4 10.fxe7 Lxe7 11.Sd5 De5+ mit klar besserer Stellung in Puranen,J (2315)-Rytshagov,M (2485), Helsinki 1995; 7…Sh5 ist auch interessant. In Bhat,V (2409)-Iordachescu,V (2601), San Marino 2006, hatte Schwarz nach 8.Le3 (8.Dd5!?) 8…g6 9.Sc3 Sc6 10.f4 Tb8 gutes Gegenspiel. 8.Sc3 Sc6 9.Lb5 Sd4 Schwarz zieht seine einzige entwickelte Figur ein zweites Mal hintereinander. Rybka fällt aber auch nichts Bessseres ein. 10.Sge2 Sxb5 11.Sxb5 Da5+ 12.Sec3 a6

13.Sd6+!? 13.Sa3 Db4 14.Ld2 mit weißem Vorteil wäre der sicherere Weg gewesen, aber Mamedyarov ist nicht bekannt dafür, dass er den Weg nach hinten wählt. Das Springeropfer ist absolut gerechtfertigt, da Schwarz seine Entwicklung vernachlässigt hat und sich von nun an sehr präzise verteidigen müsste. 13…exd6 14.exd6 Db4 Noch so ein unverständlicher Zug. Anstatt eine Figur ins Spiel zu bringen, spielt Schwarz nur mit der Dame. 14…Lb7 15.De2+ Kd8 16.0-0-0 mit Kompensation. 15.De2+ Kd8 16.Ld2 Lb7?

Die Dame musste ziehen, aber auch danach steht Schwarz vor einer kaum lösbaren Aufgabe. 16…Dh4+ 17.g3 Dh5 18.Sd5 a5 19.Sb6 Lxd6 20.Sxa8 Lxg3+ mit einer wilden Stellung war z.B. möglich. 17.0-0-0 So etwas zieht man häufig automatisch, aber Weiß hätte die ungünstige Stellung der schwarzen Dame sofort ausnutzen können. 17.Sd5! und Schwarz kann nicht gleichzeitig die Dame in Sicherheit bringen, als auch das vernichtende Schach auf a5 abwehren. 17…Db5 (17…Dxb2?? 18.La5+ Kc8 19.De8#; 17…Lxd5 18.Lxb4 cxb4 19.Dd2 Le6 20.Dxb4+-) 18.c4 Da4 19.b3 Da3 20.Sc3! und die Dame geht nach 21. Sb1 verloren. 17…Sf6 18.The1

18…Lxd6? Natürlich nervt der Bauer auf d6, aber neben der Tatsache, dass eine Öffnung der Stellung bei Entwicklungsnachteil nicht angebracht ist, geht das taktisch nicht. 18…Db6 wäre der einzige Zug gewesen, der Schwarz am Leben gehalten hätte. 19.Se4 Lf4 Einziger Zug, da 19…Db6 wegen 20.Sxd6 Dxd6 21.La5++- nicht funktioniert. 20.Lxf4 Sxe4 21.fxe4 Weiß steht ab hier auf Gewinn. Entwicklungsvorsprung und Angriff erfolgen gratis. Kein Wunder, dass die Partie nicht mehr lange dauerte. 21…Te8 22.Dg4 Te6 23.Dxg7 Lc6 24.Df8+ Te8 25.Dxf7

Was lehrt und die Partie? Entwickelt eure Figuren! 1-0

Kommentare

8 Antworten zu “Der Faktor Entwicklungsvorsprung (9)”

  1. peter am 18. Dezember 2009, 18:48

    Interessant, dass du dir diese Partie herausgesucht hast.

    Im soeben neu erschienenen Buch „Olympiad United!“ ist diese ebenfalls besprochen und zwar von Iweta Rajlich. Kennst Du die Kommentierung?

    z.B.: wird 9… Sd4 dort mit Fragezeichen versehen und e6 vorgeschlagen mit dem Text „…this is the lesser of two evils“…

  2. Georgios Souleidis am 19. Dezember 2009, 15:42

    Hi Peter,
    interessant, dass du das Buch direkt nach dem Erscheinen gekauft hast. Ich kenne die Kommentierung nicht. 9…e6 ist Quatsch (da brauch ich auch keine Engine für), da Weiß nach 10. Lxc6 bxc6 11. Dxd8+ Kxd8 12. 0-0-0+ deutlich besser steht – schwarze Bauernstruktur ist zerstört und er hat keine Figur entwickelt. Rybka gibt auf Rechentiefe 18 9…Sd4 als besten Zug an (!) dicht gefolgt von 9…Lb7. Das Fragezeichen ist – nimmt man das als Maßstab – also Humbug. Aber gut, Rajlich hatte ja auch nur ein Jahr Zeit, um sich die Partie anzuschauen.

  3. peter am 19. Dezember 2009, 16:20

    Ich habe einen der Herausgeber – Hr. Fietz – in Berlin bei der DBMM getroffen und er hat mir von dem Projekt erzählt. Er hatte mich gefragt ob ich Interesse diesem Buch habe und erst vor kurzem konnte ich es käuflich erwerben. Angesichts der Fülle der Autoren und der aufwändigen Gestaltung bin ich mir nicht sicher von wann die Kommentare sind.

  4. Georgios Souleidis am 20. Dezember 2009, 12:50

    1 Jahr war natürlich übertrieben in meinem letzten Kommentar. Sagen wir mal ein paar Monate. Aber auch dafür ist die Aussage mit 9…e6 oberflächlich. Aber gut, davon wird die Qualität des Buches hoffentlich nicht gemindert.

  5. Harald Fietz am 26. Dezember 2009, 20:19

    Liebe Diskutanten,
    durch Zufall stieß ich auf die Diskussion der Trompovsky-Partie. Der im Forum diskutierte Zug 9…e6 wird im Buch „Olympiad United – Dresden 2008“ nicht angegeben!
    Die konkrete Stelle lautet: „9… Bb7 10.Nge2 leaves White with the advantage as still it is not so easy to develop the kingside – e6 may be necessary but it weakens the d6-square. However, this is the less of two evils.” D.h. e6 wird als Zug nach dem Fianchetto des Lb7 erwogen; das “lesser of two evils” bezieht sich auf die Partiefortsetzung 9….Sd4 im Vergleich zu der Anmerkung beginnend mit 9…Lb7.
    Somit steht die Variante 9…e6 10.Lcx6 dxc6 11.Dxd8 Kxd8 12.0-0-0 überhaupt nicht zur Disposition!?
    Mit besten Grüßen
    Harald Fietz

  6. Georgios Souleidis am 26. Dezember 2009, 21:05

    Danke für die Aufklärung! Herr Peter…nächstes Mal genauer lesen 🙂

  7. whiteknight am 10. Januar 2010, 12:17

    Sehr geehrter Herr Fietz,
    entschuldigen Sie bitte, dass ich mich so spät in diese Diskussion einschalte, aber ich denke, Ihren Grammatikfehler sollte man nicht unkommentiert lassen, zumal Ihre dadurch bedingte Fehllektüre Herrn „peter“ fälschlicherweise diskreditiert.
    Ich kenne das hier zur Diskussion stehende Buch nicht (!) und beziehe mich daher ausschließlich auf das von Ihnen angeführte Zitat.
    In diesem Zitat bezieht sich „this“ völlig eindeutig auf „e6“. Demonstrativpronomen – lesen Sie das bitte in einer „Semantik“-Einführung / einer Grammatik nach – beziehen sich stets auf das unmittelbar Zuvor- oder Nachstehende und in diesem Fall eben auf die zuletzt genannte Idee, nämlich „e6 may be necessary“. Dies wird verstärkt durch die semantische Verknüpfung „however“, welche die beiden nebeneinander stehenden Sätze verknüpft (das ist elementarer Sprachgebrauch im Englischen) und damit „less of two evils“ und „e6 may be necessary“ sehr eng verknüpft, sodass dem armen „this“ die Semantik zudem stark vorgegeben wird.

    Man würde zwar nicht behaupten, ich sei nicht „vom Fach“, aber lassen Sie sich das von mir Dargelegte gerne von einem Lektor oder Germanisten Ihres Vertrauens 🙂 bestätigen.
    Tut mir leid, Herr Fietz, Herr „peter“ und damit auch Herr Souleidis haben mit der Kritik an der Kommentierung recht.
    Wenn Sie die zur Diskussion stehende Textstelle Ihres Buch anders meinten, müssten Sie das anders (besser) formulieren – ein halbwegs kritisches Lektorat kann solche Fehler vermeiden helfen.

    Zusätzlich zur der von Ihnen zitierten Textstelle: das „still“ hat definitiv kein sehr kundiger Englischsprecher an die Stelle im Satz gestellt – es sollte wenigsten heißen: „as it is still“ – solche sprachlichen Holprigkeiten (so möchte ich das freundlich formulieren) zeigen, dass seitens des Lektorats noch „room for improvement“ bestehen.

  8. Harald Fietz am 12. Januar 2010, 12:03

    Hallo whiteknight,
    es überrascht mich, dass Sie Jimmy Adams, den Herausgeber des britischen Magazins CHESS und Autor mehrerer Schachbücher sowie Lektor viele Publikationen (u.a. New in Chess) als definitiv nicht sehr kundigen Englischsprecher bezeichnen.
    Was die betreffende Analyse betrifft, so können sie sich gewiss sein, dass Iweta Rajlich keine zweifelhafte Analyse ablieferte, die zu der von Herr Souleidis berechtigterweise erwähnten Schrottstellung führt. Wer sie kennt, weiß wie akribisch sie mit Rybka analysiert. Und jeder ernsthafte Schachspieler unterzieht die post-mortem Analyse einem solchen Check – und Spitzenspieler bezweifeln auch Computerzüge, was sie mehrfach in dem Buch finden.
    Doch genug mit dieser Zeitverschwendung. In deutschen Foren ist Haarspalterei ein scheinbar beliebter Zeitvertreib, zumal man im Internet „getarnt“ bleiben kann. Warum man seine Meinung öffentlich macht, aber sein Gesicht aber nicht, das sollen andere beurteilen.
    Beste Grüße
    Harald Fietz

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