Mal wieder zugelangt

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Wie soll man mit der Fülle an theoretischem Material im Schach heutzutage umgehen? Eine der essentiellsten Fragen, die den modernen Schachfreund beschäftigt. Es gibt mehrere Methoden (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
A) Man bleibt locker wie z.B. GM Siebrecht und spielt einfach drauf los – auch Eröffnungen von denen man vorher nur gehört hatte
B) Man stopft während der Partievorbereitung notdürftig ein paar Löcher, so wie euer Blogger
C) Man spielt Chess960
D) Man kauft sich Bücher und hofft auf bessere Zeiten

A kommt für mich nur dann in Frage, wenn ich doppelrundige Turniere oder gegen nominell deutlich schlechtere Gegner spiele, B ist die Regel, C kommt nur ein Mal im Jahr vor und D, ja D habe ich nun mal wieder angewandt. Als 1. e4-Spieler ist man mit der ewigen Erkenntis konfrontiert, dass man gegen Sizilianisch nie gut genug vorbereitet sein kann. Diesen Umstand machen sich viele Autoren zu Nutze und schreiben sogenannte Repertoire-Bücher. Der spanische Großmeister Jesus de la Villa (Elo: 2481) legte nun mit „Dismantling the Sicilian“ ein solches Werk vor. Auf 336 Seiten und 19 Kapiteln empfiehlt er gegen jede nach 1. e4 c5 2. Sf3 entstehende Möglichkeit eine bestimmte Vorgehensweise, die effizient ist, aber auch gleichzeitig den Anspruch erfüllen möchte, um Vorteil zu kämpfen. Nach dem ersten Überlesen und einer etwas tiefergehenden Analyse zweier Kapitel scheint ihm das hervorragend gelungen zu sein. Das Repertoire, welches er empfiehlt, basiert, da wo es möglich ist, auf dem Englischen Aufbau mit f3, Le3, Dd2 und 0-0-0 und gegen „secondary lines“, – das gefällt mir besonders – auf Nebenvarianten, die aber viel Gift in sich tragen. Da ich ein kleiner Experte des Nimzowitsch-Sizilianers – 1. e4 c5 2. Sf3 Sf6 – und Grivas-Sizilianers – 1. e4 c5 2. Sf3 Sc6 3. d4 cxd4 4. Sxd4 Db6 – bin, habe ich mir diese zwei Kapitel intensiver zu Gemüte geführt. Gegen den Nimzowitsch-Sizi empfiehlt er einen Aufbau mit einem interessantes Bauernopfer, den Jakowenko gegen den Spanier Llobel Cortell, San Sebastian 2006, anwandte. Gegen den Grivas-Sizi empfiehlt er den selten gespielten Aufbau mit 7. a3. Die Partie Jakowenko-Llobell Cortell kannte ich schon und sie ist in der Tat ein kleines Problem für Schwarz. Den Aufbau mit 7. a3 gegen „Grivas“ hatte ich mir nur bislang nur stiefmütterlich angeschaut, die vom Autor gezeigten Varianten scheinen Weiß aber gutes Spiel zu geben – ohne natürlich zwingend zu vorteilhaften Stellungen zu führen. Beide Spielweisen haben den großen Vorteil, dass man gegen diese Systeme nicht zu viel Theorie pauken muss und ein Update alle paar Monate mal reicht. Somit erfüllt der Autor den an sich gesetzten Anspruch. Das Problem beginnt erst bei den Hauptsystemen wie Najdorf oder Sweschnikov. Dagegen gibt es kein „einfaches“ Mittel. Hier werden jeweils 30 Seiten an Theorie geliefert nach dem Motto: Gegen Hauptsysteme muss man auch Hauptvarianten spielen, sofern man theoretisch um Vorteil kämpfen möchte. Keine Frage, die gewählten Musterpartien sind gut analysiert, grafisch und strukturell – und somit auch das ganze Buch – sehr gut aufbereitet, aber wer sich ihrem Studium widmen möchte, der muss schon einige Abende dafür opfern.
Knappes Fazit:
Ein wirklich gutes Buch für Freunde der offenen Spielweise gegen Sizilianisch. Klares Konzept, klare Ansagen, gute Analysen, grafisch und strukturell sehr gut aufbereitet. Insbesondere als Nachschlagewerk absolut empfehlenswert. Wer wissen möchte, was gegen bestimmte Systeme empfohlen wird, kann gerne per Kommentar nachfragen.

„Dismantling the Sicilian“, Jesus de la Villa Garcia, New in Chess 2009, 23,95 Euro (englisch)

Kommentare

13 Antworten zu “Mal wieder zugelangt”

  1. MiBu am 13. Oktober 2009, 13:17

    Super, aber was spielt man gegen Russisch??

  2. Georgios Souleidis am 13. Oktober 2009, 13:21

    Russisch wird unterklassig – und da zähle ich mich auch zu – doch so gut wie nie gespielt, also sehe ich kein Problem drin. Falls es mal kommt, dann spielt man halt irgendeine Nebenvariante.

  3. chessdaniel am 13. Oktober 2009, 20:00

    Was empfiehlt er gegen Drachen?

    Daniel

  4. Georgios Souleidis am 13. Oktober 2009, 23:01

    Hallo Daniel,
    gegen Drachen empfiehlt er 6. Le3 7. f3 8. Dd2 9. Lc4 (statt 9.0-0-0, was die andere Hauptvariante ist) usw. und geht auch auf die neuesten Ideen von Magnus Carlsen ein. Das Buch ist eh mit Mai 2009 als Redaktionsschluss auf einem guten Stand.

  5. GH am 14. Oktober 2009, 08:42

    Welche der Hauptvarianten empfiehlt er denn gegen Sveschinkov (9. Sd5 oder 9. Lf6:); und wie soll es anschließend weitergehen?

  6. Georgios Souleidis am 14. Oktober 2009, 08:53

    9. Lxf6 gxf6 10. Sd5 f5 (Lg7) 11. Ld3 usw. Ich füge mal (Ausnahme!) das Fazit (Mit der Maus auf das Bild gehen und vergrößern) ein, welches der Autor am Ende jedes Kapitels schreibt.

  7. MZ am 14. Oktober 2009, 15:53

    Salute,

    das Fazit zeigt recht eindrucksvoll, wie weit das Schach schon theoretisch ausgeleuchtet wurde. Es scheint, als ob die Spielbarkeit eines Systems nur noch von einer Untervariante abhängt. Beim Drachen und beim Najdorf wirds wohl ähnlich sein.
    Könnten Sie bitte das Fazit vom Taimanov-Sizi (4. …Nc6 + Qc7) noch hereinstellen? THX!

  8. Georgios Souleidis am 14. Oktober 2009, 16:05

    ok, das noch, aber dann ist wirklich Schluss. Hier zum Fazit vom Taimanov-Sizi.

  9. MZ am 14. Oktober 2009, 22:16

    Dankeschön! Weiß hat stets minimum +=, muss er wohl schreiben 😉
    Klasse Seite übrigens, wir sehen uns auf dem Fritzserver.

  10. gavagei am 16. Oktober 2009, 00:13

    wenn es jemanden interessiert: ich finde auch 100 Endgames You Must Know (2008, 21.95 €) vom gleichen Autor gut, weil er zumindest für meine Spielstärke (dwz ca. 2200) deutlich genug sagt, worauf es ankommt. Im Umfang nicht vollständig, daher ist auch noch für Dvoretzky Platz im Schrank. Aber das Wichtigste ist drin.

  11. Sebastian am 17. Oktober 2009, 20:17

    Hallo, unter http://www.schachversand.de/e/detail/buecher/10345.html gibt es auch noch eine Leseprobe.

  12. Patzel am 19. Oktober 2009, 20:51

    Russisch ist ja wohl kein Problem, schlägt man einfach mit Königsgambit!

  13. Suche Rezensionen ?ber neue Schachb?cher am 04. November 2009, 16:07

    […] von lovo Jesus de la Villa: Dismantling the Sicilian Hier ist etwas dazu: Mal wieder zugelangt : Entwicklungsvorsprung Die totale Verarsche : […]

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