Die Gurkerei geht weiter

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Gestern endete die griechische Mannschaftsmeisterschaft. Ich würde euch gerne eigene schöne Partien zeigen, doch die gab es nicht. Nach einem leichten Sieg in der ersten Runde und einem fehlerfreien Schwarzremis gegen GM Halkias dachte ich schon, ich wäre gut drauf, doch Pustekuchen. Ab der dritten Runde produzierte ich fast nur noch Zeitnotdramen und Fehler en masse.

Hier die schönsten Gurken, gespielt in den letzten drei Runden.

Souleidis,Georgios (2435) – Haritakis,Theodoros (2291)
Griechische Mannschaftsmeisterschaft Halkidiki (7), 07.07.2009

Stellung nach 29…Sf6:

30.Df5?? Nicht nur dieser Zug an sich, sondern der gesamte damit einhergehende Plan – nämlich am schwarzen Damenflügel einzudringen – ist völlig verfehlt. Nach 30.De3 würde Weiß einen kleinen Vorteil behaupten. Nachdem ich 30.Df5?? ausführte, sah ich mein Malheur, schaute „selbstbewusst“ in der Gegend rum und mein Herzschlag beruhigte sich wieder als mein Gegner 30…g6? spielte. Die einzige Entschuldigung, die ich für die nun folgenden Fehler habe, ist, dass wir uns im Increment-Modus befanden. Nach 30…Dxc6! 31.dxc6 Txf5 32.c5 Ein letzter Versuch, den c-Bauern zur Dame zu führen. 32…Sd5! 33.cxb6 Sxb6! 34.c7 Sc8-+ hätte ich aufgeben können. 31.Dc8+?! 31.Dc2= 31…Kg7 32.Db7? Ta5? 32…De5! 33.Dxa7 Db2 34.Te1 Se4! mit klar besserer Stellung für Schwarz. 33.Te1

33…Sg4? 33…Txa2! 34.De7 (34.Te7 Sd7!! Diesen schönen Zug habe ich natürlich nicht gesehen. 35.Dxd7 Df6-+) 34…Dxe7 35.Txe7 Kf8 36.d6 Td2 37.Txa7 Txd6 mit Mehrbauern für Schwarz. 34.De7! Nach Damentausch ist der d-Bauer nicht mehr aufzuhalten 34…Dxe7 34…Df6 35.Dxf6+ Sxf6 36.d6 Tc5 37.d7 Sxd7 38.Lxd7+- 35.Txe7 Kf6 36.d6 Se5 37.Ld5 g5 38.Txe5! 1-0

Im Griechischen existiert das Wort „Kolofardia“, wofür ich keine exakte Übersetzung kenne. Wörtlich übersetzt heißt es soviel wie „Arschritzenerweiterung“. Die Griechen benutzen es, um auszudrücken, dass man Riesenglück hatte. „Kolofardos“ war ich in meiner Partie gegen den starken GM Dimitrios Mastrovasilis. Er hatte mich schön überspielt, fiel in Gewinnstellung aber auf meinen letzten Trick rein.

Mastrovasilis,Dimitrios (2567) – Souleidis,Georgios (2435)
Griechische Mannschaftsmeisterschaft Halkidiki (8), 08.07.2009

Stellung nach 27…a4:

Weiß kann hier eigentlich irgendwas spielen, aber nur nicht… 28.Dxb4? 28.La5+- 28…De4! 29.Txd5 Db1+! 30.Kg2 De4+ 31.Kg1 Db1+ 32.Kg2 De4+ 33.Kg1 Hier hätte Weiß noch 33.Kh3 probieren können, doch etwas unter Schock stehend und wegen Zeitnot bevorzugte er ins Remis einzuwilligen. 33…Dxd5 (33…g4+ 34.Kh4 Dxd5 35.Dc5 Dxa2 36.Dh5+±) 34.g4 h5 war ihm zu riskant, wie er mir nach der Partie mitteilte. ½-½

In der letzten Runde hatte ich die „Ehre“ gegen den Vizepräsidenten der FIDE, Georgios „Makro“ Makropoulos, anzutreten. Ein unangenehmes Los. Makropoulos war zwischen den 70er und 90er Jahren ein starker Spieler, hörte aber dann auf und spielt inzwischen ganz selten für seinen griechischen Klub bei der Meisterschaft. Dieses Jahr war es seine einzige Partie.

Souleidis,Georgios (2435) – Makropoulos,Georgios (2369)
Griechische Mannschaftsmeisterschaft Halkidiki, 09.07.2009

Stellung nach 15…0-0-0:

16.a4?! Das Bauernopfer auf d4 ist sehr riskant. Ich überschätzte meine Agriffsaussichten. 16.Tad1 mit verteilten Chancen, ist „normales“ Schach. 16…Lxg5! 17.Dxg5 Dxd4 Hier bot mir Makropoulos remis an. Er befand sich jetzt schon in Zeitnot – kein Wunder bei der geringen Praxis – und ich hatte ca. 30 Minuten. Obwohl ich trotz hartnäckigen Rechnens nichts Besonderes sah für mich, spielte ich weiter. Eine krasse Fehlentscheidung. Übermut und Verlust der Objektivität, die u.a. durch das Unterschätzen meines namhaften Gegners herrührte, lieferten Munition für meinen zweifelhaften Antrieb. 18.a5 Sd7! 19.Ta4 19.a6 – meine erste Idee – war auch nicht besser. Nach 19…Sc5 20.axb7+ Kb8 dachte ich über einen Turmzug nach d1 nach. Es folgt immer Sd3 und Schwarz steht vorzüglich. Aus diesem Grund wählte ich 19.Ta4. 19…Dc5 20.a6? Nach diesem Fehler geht es schnell bergab. Die Engines wollen entweder mit 20.Df4 oder 20.Dg3 den Bauern e5 decken und haben natürlich wie so oft Recht. 20…b5 21.Taa1?! 21.Tf4 war besser. Ich sah den Zug, aber die Stellung gefiel mir nicht. Stattdessen zockte ich weiter. 21…Sxe5!-+

22.Sd5? Auf des Gegners Zeit gespielt ist das ein reiner Bluff. 22…Sd3! 23.Se7+ 23.Te2 Txd5-+ 23…Kd7! 24.Sxf5 Dxf2+ 25.Kh1 Dxf5 26.Dd2 26.Dxf5 exf5 27.Te3 Sf2+ 28.Kg1 Sg4 29.Td1+ Kc8 30.Te7 The8-+ 26…Ke7 Ab hier war es nur noch reine Agonie, deswegen kein weiterer Kommentar. Ich hatte noch die leise Hoffnung, dass sich mein Gegner im Blitzmodus noch irgendwo verhederrt, doch er spielte es bis zum Matt sauber durch. 27.Tf1 Dg4 28.Kg1 Dd4+ 29.Kh1 Dxh4+ 30.Kg1 Sc5 31.Dc2 Dd4+ 32.Kh1 Dh4+ 33.Kg1 Dd4+ 34.Kh1 Td6 35.Tf3 Th6 36.La2 Tf6 37.Tc3 Se4 38.Txc6 Sg3+ 39.Kh2 Dh4+ 0-1

Natürlich wurden auch qualitativ gute Partien gespielt in Griechenland. Mein Mannschaftskamerad Spyridon Kapnisis z.B. erzielte an Brett zwei eine GM-Norm und schlug u.a. – die Hamburger wird es nicht so freuen – Radoslaw Wojtaszek in schönem Stil. Für die, die gegen Caro-Kann nichts Besonderes in petto haben, empfehle ich das Studium von 3.f3!?. Diese Variante hat Spyridon, auch dank der Partien von Artyom Timofeev, studiert und wandte eine interessante Idee gegen Wojatszek an.

Kapnisis,Spyridon (2464) – Wojtaszek,Radoslaw (2637)
Griechische Mannschaftsmeisterschaft Halkidiki, 08.07.2009

1.e4 c6 2.d4 d5 3.f3!? g6 4.Sc3 Lg7 5.Le3 Db6 6.Dd2 Dxb2 7.Tb1 Da3 8.h4!? dxe4 9.h5 Sf6 9…Sd7 10.fxe4 Sgf6 11.h6 Lf8 12.e5 Sg4 13.Lf4 Sb6 14.Le2 Le6 15.Th4 f5 16.Sf3 Sc4 17.Dd3 Da5 18.Sg5 Sa3 19.Txb7 Lc4 20.Dd2 0-0-0 21.Tb2 Lxe2 22.Sxe2 Dxd2+ 23.Lxd2 Lxh6 24.Lf4 Lxg5 25.Lxg5 Td7 26.Th3 Sc4 27.Tb4 Sb6 28.c4 h6 29.e6 Tb7 30.Lf4 a5 31.Tb1 Sxc4 32.Tc1 g5 33.Lxg5 Sd6 34.Txc6+ Tc7 35.Txc7+ Kxc7 36.Lxe7 Se4 37.d5 Tb8 38.Sc3 1-0, Timofeev,Artyom (2677) – Khenkin,Igor (2630), XLIV Capablanca Memorial Elite Havana CUB (9), 16.06.2009. 10.h6 Lf8 11.fxe4 Sg4 12.Sf3 Sd7 13.Lc4 Sb6 14.Lb3 f6 15.0-0 Da5 16.Lf4 Ld7 17.a4 e5 18.Sxe5 Sxe5 19.dxe5 0-0-0 20.exf6 Lb4

Wie würdet ihr diese Stellung einschätzen? 21.Lh2!! Weiß hat die Schwäche der schwarzen Stellung ausgemacht. Die Diagonale h2-b8 mit direktem Zugang zum gegnerischen König. 21…g5 Verhindert 22.Df4. 22.Tf3 Ausreichend zum Sieg aber 22.Kh1! – geht dem Schach auf c5 aus dem Weg – war noch besser. 22…Thf8 (22…Lg4 23.De3 Lxc3 24.Dg3 Sd7 25.Dxg4+-; 22…Dc5 23.Tf3+-) 23.Dd3 Sa8 24.Sd5!+- 22…Lg4

Bei Weiß hängen zwei Figuren, doch das macht nichts. 23.De1! Strebt nach g3. 23…Lxf3 23…Sd7 hätte mehr Widerstand geleistet, aber nach 24.Dg3 Se5 25.Sb5! The8 26.f7 Lxf3 27.fxe8D Txe8 28.Dxg5 cxb5 29.Lxe5 steht Weiß deutlich besser. 24.Le6++- Td7 25.Dg3 Kd8 26.Db8+ Sc8 27.Lxd7 Dc5+ 28.Kh1 Kxd7 29.Dxb7+ Ke6 30.Dxb4 Dxb4 31.Txb4 Lh5 32.e5

Nach dem taktischen Gemetzel verbleibt Weiß mit zwei Mehrbauern und den besseren Figuren, 1-0 nach 41 Zügen.

Als Nachspieltipps empfehle ich zwei Partien von Ioannis Papaioannou, über den ich auf diesem Blog schon mal berichtet habe ((Nachtrag Europameisterschaft)). Seine Gegner Pavel Tregubov und Bartlomiej Macieja überspielte er nach allen Regeln der Kunst wobei er am Ende jeweils mehr als eine Stunde noch auf dem Wecker hatte – völlig normal für ihn, da er im Eiltempo spielt, während sich seine Gegner im Increment-Modus befanden. Beide Partien sind auch theoretisch interessant, da „Pap“ jeweils mit zwei starken Neuerungen glänzen konnte. 12…Sb6 gegen Tregubov und 10.b3 gegen Macieja.

Die meisten Partien von der griechischen Meisterschaft kann man hier ((Partien auf TWIC)) runterladen.

Weitere Links:
Offizielle Webseite des Turniers
Statistik auf ChessResults
Bericht auf Chessdom

Randbemerkungen:
Leonid Kritz zeigte sich in sehr guter Verfassung – auch physisch. Er besiegte einige Großmeister und gewann zehn Elo-Punkte. Seine Leistung ist schon etwas erstaunlich, wenn man bedenkt, dass er seit über einem Jahr in Baltimore (USA) Finanzwesen studiert und dort nur für seine Uni-Mannschaft ans Brett geht. Er nimmt sein Studium sehr ernst und ist den Bremern, namentlich Till Schelz-Brandenburg, dankbar, dass sie ihn dazu bewegt haben, in die USA überzusiedeln. Man kann davon ausgehen – auch wenn er es offen ließ, dass er in der nächsten Saison nicht für Bremen in der Bundesliga spielen wird.

Weniger gut agierte Arik Braun – zwei Niederlagen und sechs Remis. Das machte dem sympathischen „Eppinger“ aber nichts aus. Nachdem er seinen Wehrdienst bei der Sportförderkompanie beendete, hat er sich an mehreren Unis in Deutschland für verschiedene Fächer beworben. Dementsprechend spielt Schach zur Zeit keine große Rolle. Griechenland war für ihn mehr Urlaub. Bevor ich aus Chalkidiki entschwand, fand ich ihn braun gebrannt und von weiblichen „Fans“ umlagert in der Lobby des Hotels.

In diesem Beitrag ((Griechische Meisterschaft)) hatte ich mich gefragt, wie Christian Maier einen Klub in Griechenland finden konnte. Die Antwort ist denkbar einfach. Seine Mutter ist Griechin und dank seiner Sprachkenntnisse konnte über einen griechischen IM, also nicht wie in den Kommentaren zum obigen Beitrag vermutet über Spyridon Skembris, der Kontakt zu einem hiesigen Verein hergestellt werden.

Es wird Zeit eine Legende, die auch von der Zeitschrift „Schach“ gerne gespinnt wird, zu Grabe zu tragen. Der Increment-Modus, also Partien, bei denen man für jeden Zug 30 Sekunden Bonus erhält, sorgt nicht dafür, dass Zeitnotschlachten nicht mehr stattfinden. Im Gegenteil, die griechische Mannschaftsmeisterschaft war mal wieder ein gutes Beispiel, um zu erkennen, dass viele Partien zu einer Zeitnotschlacht ausarten. Zwar verliert man selten auf herkömmliche Weise auf Zeit, doch es werden viele Fehler produziert, wodurch sich das Bild der Partie ständig wandelt, typisch Zeitnot halt.

Das Schweizer System hatte bei dieser Meisterschaft einen Riesennachteil. In den letzten beiden Runden wurden einige Kämpfe geschoben, damit die Mannschaften sich unter die ersten zehn Mannschaften – erhalten einen nicht unwesentlichen Kostenbeitrag erstattet – mogeln, bzw. nicht auf den Abstiegsrängen – die letzten elf Mannschaften – landen, traurig.

Ach, es gäbe noch so viel zu erzählen…z.B. wie Iwantschuk bei jeder Partie schön in der Gegend rumstarrt – es hat ihm offensichtlich gefallen in Chalkidiki, oder über das überaus freundliche Auftreten Navaras, oder über einen Knirps, der in der letzten Runde zum Spielen gezwungen wurde, nur um dann – welch Überraschung bei dem bescheidenen Niveau – die Partie einzustellen, wodurch seine Mannschaft abstieg, oder über wohlhabende russische Touristen, oder, oder, oder…

Es war wie immer eine tolles Happening, diese griechische Mannschaftsmeisterschaft. Jetzt freue ich mich auf Rethmyno ((Internationales Open Rethymno)), auf Paleochora ((II. Internationales Open Paleochora)) und auf eine gute Internetverbindung. Diesen Beitrag konnte ich nur schreiben, da viele Athener es wohl nicht für besonders sinnvoll halten ihre Vebindung mit einem Passwort abzusichern 🙂

Kommentare

5 Antworten zu “Die Gurkerei geht weiter”

  1. dokiskaki am 11. Juli 2009, 21:54

    Da Du hiermit dem Wort „Kolofardia“ den Weg in die internationale Arena geöffnet hast, haben meine Kollegen (denen ich von Deinem Artikel erzählt habe) etwas zu seiner Übersetzung aufs Englische beigetragen: http://www.lexilogia.gr/forum/showthread.php?p=38650#post38650

    Gute Spiele, viel Erfolg und angenehmen Urlaub auf Kreta!

  2. HAJDUK am 12. Juli 2009, 12:40

    Hat dich Mastrovasilis nach der Partie nicht als „Malaka“ bezeichnet? :d

  3. Georgios Souleidis am 12. Juli 2009, 13:17

    @dokiskaki: Efxaristo poli! Rethymno ist wunderschön. Hier kann man es sich gut gehen lassen. Dir auch einen schönen Sommer. Dein Blog werde ich jetzt regelmäßig verfolgen, auch um mein Griechisch zu vebessern.
    @ HAJDUK: Das Wort „Malaka“ wird gar nicht mehr so häufig benutzt, wie ich dieses Jahr festgestellt habe. Vielleicht sind auch alle einfach nur älter geworden und halten sich zurück mit sprachlichen Entgleisungen 🙂

  4. ? ???????? ??? ?????? ?? ?????… « ????????, ??????????, ???????? am 12. Juli 2009, 16:30

    […] ????? ??? Die Gurkerei geht weiter (???? ??? «? ?????????????? ???????????»…), ? […]

  5. HAJDUK am 12. Juli 2009, 23:46

    Also alle meine griechischen Kumpels haben diesen Spitznamen, so wie die Ex-Yugos alle Cevapcici heißen …
    Und in der Schule (bei und war ein griechisches Lyzeum in unseren Schulräumen) hat man aus den Unterhaltungen der Griechen immer „Malaka“, „Ramisu“ und „Kolos“ herausgehört. Ich schreibe das wahrscheinlich falsch, aber wenn ich es höre, dann weiß ich , was es bedeutet, hehe …

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