Typisch „Schach“ ?

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Jeden Monat freue ich mich aufs Neue die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift „Schach“ zu lesen. Gut recherchierte Berichte, fundierte Analysen und in letzter Zeit auch Kolumnen zu spannenden Themen rund um das Schach festigen die Position der anspruchsvollsten Fachzeitschrift als Nr. 1 im Deutschen Sprachraum.

In der März-Ausgabe berichtet der hauptverantwortliche Redakteur Raj Tischbierek exklusiv von der Deutschen Einzelmeisterschaft, die vom 18.01.2007 bis 28.01.2007 in Bad Königshofen stattfand. Auf Seite 49f. geht er auf die entscheidende Verlustpartie Prusikins in der letzten Runde gegen Naiditsch ein und thematisiert die im Internet aufgekommenen Gerüchte, dass Prusikin die Partie absichtlich gegen Naiditsch verloren hätte.

Dabei kritisiert er den Blogger Rank zero, der wohl diesbezügliche Gerüchte gestreut hatte. Leider ist in den Tiefen seines Archivs hierzu kein eindeutiger Beitrag mehr zu finden, doch ich gehe von der Annahme aus, dass eine Verleumdung tatsächlich stattgefunden hat. Ob dieses Fauxpas gipfelt die Mahnrede Tischbiereks in der Aussage „typisch Blogger“ und der Vergabe des „Silbernen Breutigams“ an den Betreiber der Seite, Olaf Teschke.

Trotz der inhaltlich korrekten Kritik an der Berichterstattung Rank zeros begeht Raj den gleichen Fehler wie jener und andere Journalisten vor ihm – ein gewisser Martin Breutigam bekommt in der Schachszene wegen seiner haltlosen Verdächtigungen gegenüber Topalov gerade derbe sein Fett weg (vgl. seinen Artikel „Wenn der Daumen im Mundwinkel wackelt“ vom 26.01.2007 in der Sueddeutschen Zeitung) – wenn er das Vergehen eines Einzelnen als willkommenen Anlass nutzt, um die gesamte Blogosphäre zu diffamieren.

Über die Gründe seiner Aussagen könnte ich nun spekulieren, doch oberste journalistische Prinzipien wie Neutralität und Objektivität gebieten dies nicht und so fahre ich weiter sachlich fort. „Schach“ selbst hält sich nicht immer an die Grundsätze, die man von Qualitätszeitungen bzw. Zeitschriften erwarten darf und muss. So berichtete Dirk Poldauf in Schach 10/2006 (S.19) vom unverfrorenen Remisangebot eines Amateurs gegenüber einem Grossmeister. Die unwürdige Diskussion über dieses eher harmlose Ereignis zog sich durch erboste Leserbriefe über mehrere Ausgaben hinweg und zeigte eindeutig auf, auf welcher Seite das Denken einer Korrektur bedarf [vgl. Schach 11/2006 (S.69f.); Schach 12/2006 (S.67) und Schach 1/2007 (S.40)].

Ich möchte nicht so weit gehen und „Schach“ eine sorglose Vorgehensweise in der Berichterstattung vorwerfen, doch dass im praktischen Journalismus häufig medienethische Grundsätze missachtet werden ist nicht nur durch den Boulevardjournalismus bekannt (vgl. die vom Deutschen Presserat veröffentlichte „Chronik der Rügen“). Ökonomische Zwänge, Konkurrenz-, Zeit- und Erfolgsdruck führen halt manchmal zu unreflektierten Aussagen.

Dass im Internet und insbesondere in der Blogosphäre gerne mal Gerüchte gestreut werden liegt in der Natur des Mediums – zu diesem Phänomen will ich im Rahmen dieses Artikels nicht näher eingehen, um den Rahmen nicht zu sprengen und verweise auf die unten angegebene Referenz. Es gilt hier wie im traditionellen Journalismus zwischen denen, die sich der seriösen Berichterstattung widmen, und jenen, die es mit der Wahrheit nicht allzu genau nehmen, zu unterscheiden.

Trotz allem bin ich überzeugt, dass „Schach“ eine qualitativ hochwertige Zeitschrift, vielleicht die einzige in Deutschland, ist, verleihe aber Dir lieber Raj ob der Aussage „typisch Blogger“ den Bronzenen Breutigam für diesen höchst unreflektierten Unsinn.

Referenz:

Armborst, Matthias (2006): Kopfjäger im Internet oder publizistische Avantgarde? Was Journalisten über Weblogs und ihre Macher wissen sollten. Berlin: LIT Verlag

Kommentare

7 Antworten zu “Typisch „Schach“ ?”

  1. alms am 05. März 2007, 20:10

    Doch, doch, das ist zu finden, und doch ein bisschen differenzierter, als die Zeitung es darstellt:
    http://rankzero.de/?p=527
    Hoffentlich war das keine Replik auf die Kritik von Rank zero an „Schach“ wegen deren Verhältnis zum Poker.

  2. Georgios Souleidis am 06. März 2007, 10:52

    Vielen Dank für den Hinweis!
    Ich hatte nicht daran gedacht, dass sich die Geschichte hinter den Kommentaren verbergen würde.
    Interessant ist, dass Rank zero sich seinen Fehler (einen Monat später!) eingesteht.

  3. Georgios Souleidis am 06. März 2007, 12:33

    Hier Rank zeros aktueller Beitrag zum Fall:
    http://rankzero.de/?p=714

  4. Bernd Schneider am 09. März 2007, 09:08

    Guten Morgen !
    Ein wahrlich interessantes Thema ….. die letzte Runde einer nationalen Meisterschaft ….. Wenn die genannte Partie geschoben worden wäre ( was ich im Fall Prusikin aber nicht glauben mag ) , so würde ich den Deutschen Schachbund als Auslöser des Betruges erachten. Wer bei einer Deutschen Meisterschaft , die von zahlreichen Profis bestritten wird , das Preisgefüge völlig unlogisch aufbaut , muss sich über Absprachen nicht wundern. Der erste Preis betrug nach meiner Kenntnis 6000 Euro , wogegen der Zweitplazierte nur noch 2500 Euro entschädigt wurde. Ein völlig unterschiedliche Entlohnung für eine ( fast ) gleichgute Turnierleistung – aus meiner Sicht totaler Blödsinn, der lediglich dem Aufhänger
    „6000 Euro für den Deutschen Meister“ geschuldet ist.
    Als ich 1988 in Bad Lauterberg zusammen mit Rainer Kraut den ersten bis zweiten Platz belegte , ging es bei der Berechnung der Buchholzzahl nur um den Unterschied zwischen 3000 und 4000 DM , da lohnt es sich nicht zu schieben !!
    Übrigens, der Turniersieg von Naiditsch kam für mich überraschend , halte ich den jungen Mann aus Dortmund für einen reichlich überschätzten Spieler. Vom Spielver-ständnis und Positionsgefühl her kann Naiditsch vielleicht gerade noch bei “ Megatalent “ wie Thomas Henrichs mithalten, mehr aber auch nicht….. Aufschrei in der Gemeinde – Naiditsch in Wirklichkeit der grosse Retter der deutschen Nationalmannschaft ? Ich glaube es nicht !

    Gruss Bernd Schneider

  5. Michael Buscher am 09. März 2007, 14:57

    Wenn Prusikin – Naiditsch Schiebung gewesen sein soll, wäre das wohl eine ziemlich groteske: Schwarz bekommt eine furchtbare Verluststellung verpasst und Weiss vertauscht dann die Züge, um die Gewinnstellung wegzuwerfen?!? Das kann man unauffälliger gestalten…
    Ich kenne Prusikin nicht sehr gut, aber er scheint mir ein fairer Spieler zu sein, der hat sicher nicht manipuliert. Was Naiditsch dagegen angeht, gebe ich Bernd recht. Der ist mehr als überschätzt.
    Schönen Gruss
    Michael Buscher

  6. Bernd Kohlweyer am 12. März 2007, 15:43

    Naiditsch wird unterschätzt?? Hat der Mann nicht 2660 und schon mal das GM-Turnier in Dortmund gewonnen? Das sind doch grossartige Leistungen. Seine offensichtlichen Schwächen im Positionsverständnis werden kompensiert durch hervorragende Taktik, Kampfgeist, Optimismus und gute Physis. Das da nicht immer saubere Modellpartien herauskommen ist verständlich. Es gibt eine Reihe von 2600ern die einen unansehnlichen „schebbigen“ Stil haben, bei denen man sich wundert, wie sie zu einer so hohen Zahl kommen. Sagt man Judith Polgar nicht das gleiche nach? Es gibt nun mal viele verschiedene Qualitäten, die ein Spieler haben kann. Man muss Naiditsch nicht mögen, aber seine schachlichen Leistungen sollte man doch anerkennen. Für den Deutschen Schachbund und seine Hofberichterstatter ist er wohl nicht glatt genug um sich mit ihm zu sonnen. Er hat es doch tatsächlich gewagt, eine eigenständige unbequeme Meinung zu haben …

  7. A. Wulf am 22. März 2007, 11:19

    Ich kann mich der obigen Meinung nur zu 100% anschliessen!
    Auch mein Fall ist Naiditsch nicht unbedingt. Aber jeder muss seine Stärken ausnutzen. Und obwohl er inzwischen erkannt haben dürfte, das bei uns in Deutschland mit „Schach“ im wahrsten Sinne des Wortes nicht so viel „Staat“ zu machen ist, darf man ihm nicht verübeln, wenn er das Beste für sich daraus zu machen sucht.

    Adalbert Wulf
    SV-Ennigerloh-Oelde

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