Nach der EM in Dresden erschien ein offener Brief von GM Eric van den Doel, der m. E. wenig Substantielles enthielt. Vor einigen Tagen stiess ich auf eine Kolumne von GM Oleg Korneev auf der spanischen Seite Ajedrezenmadrid. Dort analysiert er seine Eindrücke von Dresden – auch die Begebenheit, die van den Doel anspricht – und die globale Situation im Schach. Dabei stellt er interessante Thesen auf und teilt rhetorisch schwungvoll gegen alles und jeden aus. Viel Wahrheit oder doch mehr Polemik? Auf jeden Fall darf so eine Meinung nicht nur den spanischen Lesern vorenthalten bleiben und so übersetzte ich einen grossen Teil des „Pamphlets“, ohne sinngemäss etwas zu verändern oder vorzuenthalten. Das Stück ist etwas lang geraten, aber seine Lektüre lohnt sich mehr als so gut wie alles andere, was man sonst in der Schachszene zu lesen bekommt.

Gegenwart und Zukunft des professionellen Schachs und meine Eindrücke von der Europameisterschaft in Dresden 2007
GM Oleg Korneev

Nach der Europameisterschaft in Dresden würde ich gerne einige Eindrücke mit der Schachwelt teilen:

Das Positive: Der Austragungsort war sehr gut. Das wars schon.

Das Negative: Vor Beginn des Turniers wurde den Teilnehmern mitgeteilt, dass die Anzahl der Qualifikationsplätze bei den Männern von 33 auf 29 reduziert wird, obwohl das die offizielle Mitteilung seit 9 Monaten war. Bei den Damen schossen die Organisatoren vollends den Vogel ab und teilten erst vor der letzten Runde mit, dass es nur 15 Plätze, statt der 16 annoncierten, geben wird.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Organisatoren nicht viel früher über diese Informationen verfügt haben. Solches Verhalten kann eigentlich nur als simpler Betrug gewertet werden.

Trotz der traditionellen, fast schon zur Lethargie neigenden Passivität des modernen Profischachspielers, wenn es darum geht um seine Rechte einzustehen, geschah das Unfassbare. Einer erhob sich und trat zum Tiebreak nicht an. Der Ex-Weltmeister Alexander Chalifman. Er geniesst meine absolute Unterstützung.

Die pathetische Situation des professionellen Schachs ist meines Erachtens genau diesem Umstand geschuldet. Die Mehrheit der Profis nimmt, um bloss nicht ein paar Euros zu riskieren, eine fast schon bettlerische Haltung ein, anstatt in den Momenten, in denen es drauf ankommt, die Stimme zu erheben. Mit dieser Einstellung töten sie langsam aber sicher das Profi-Schach.

Weiter im Text: Vor Turnierbeginn offerierten die Organisatoren zwei Hotels, für die sie „Sonderkonditionen“ ausgehandelt hatten. Viele Teilnehmer gingen auf diese Offerte ein. Ich weiss nicht wie es um das Hotel Maritim bestellt war, aber das Hotel Ibis begann nach 3 oder 4 Tagen auf vegetarische Ernährung umzustellen. Die Ibis-Verwaltung verwies auf die Vereinbarung mit den Organisatoren und so wurden die Proteste der Spieler abschlägig beschieden und diese weiterhin mit kleinen Pasta- und Gemüseportionen abgespeist.

Untersuchungen ergaben, dass der Unterschied zwischen Übernachtung + Frühstück und Vollpension 37 Euro betrug. Allerdings waren Mittag- und Abendessen mit 10 Euro veranschlagt. Wo ist der Rest von 27 Euro geblieben?

Für die, die keine Vegetarier sind und nächstes Jahr bei der Olympiade teilnehmen werden, empfehle ich, sich eigenständig um eine Unterkunft zu bemühen und die „Hilfe“ der Organisatoren nicht in Anspruch zu nehmen. Das Einzige, was man ihnen zu Gute halten kann ist, dass es keine Verpflichtung gab, eines der offerierten Angebote anzunehmen.

Weitere „kleine“ unerfreuliche Details:

  • 20% Steuer auf alle Preise.
  • 50 Euro zusätzliches Startgeld für zwei Wochen freie Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. (Mal davon abgesehen, dass ein 1-Wochen-Ticket für alle Transportmittel 17 Euro kostet, wofür braucht man so ein Ticket, wenn man im Zentrum der Stadt wohnt?)
  • Höchstpreise in der Cafeteria des Spielorts: 1,50 Euro für einen Kaffee bzw. 2 Euro für ein Glas Wasser.
  • Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen, als ich die Eintrittspreise für die Zuschauer erfuhr. 10 Euro, um sich das Geschehen von „oben“ anzuschauen. 30 Euro (!), um im Turniersaal die Spiele zu verfolgen.

Richtig witzig wurde es, als die Organisatoren „im freundlichen Ton“ baten, dass alle Teilnehmer, die nicht am Tiebreak partizipieren, am 15.04. ein Schnellturnier mitspielen, welches ins Guiness-Buch der Rekorde (was mich nicht wirklich interessiert) aufgenommen werden soll. Nur die Spieler, die nicht am Tiebreak mitspielen, seien entschuldigt (der Hammer!). Nach dem ganzen Abracadabra nahm ich natürlich davon Abstand.

Die Qualität der Schiedsrichter (trotz grosser Anzahl) war weit davon entfernt, dem Ereignis angemessen zu sein. Ich weiss nicht welches Programm sie zur Auslosung benutzt haben, aber viel zu häufig spielten die letzen einer Ranking-Gruppe gegeneinander, sogar in der letzten Runde. In der Gruppe der Spieler mit 6,5 Punkten spielten neben mir der letzte im Ranking (ein IM mit 2477) gegen einen GM mit 2564. Stattdessen durfte ich mit Elo 2565 gegen die Nr. 2 des Turniers, GM Karjakin (Elo 2686), antreten. Ich kann mich erinnern, dass vor vielen Jahren in Spanien ein ähnliches Programm benutzt wurde, was zum Glück inzwischen Vergangenheit ist. Es ist tragisch, dass sie für so ein Ereignis nichts Besseres als dieses Schrottprogramm gefunden haben.

Einige Male wurden falsche Resultate eingegeben. Z.B. verlor IM Andrey Orlov in der dritten Runde und es wurde ihm ein Punkt gutgeschrieben. Am nächsten Tag wurde er gegen GM Efimenko gelost, der einen Punkt mehr hatte und diese Partie gewann.

Ich möchte die Spieler warnen, die in den nächsten Jahren vorhaben an der EM teilzunehmen. Die ideale Elo, um sich zu qualifizieren, liegt etwas über 2600. In diesem Fall bekommt man es hauptsächlich mit Spielern zu tun, deren Elo etwas über 2500 liegt. +4 sind dann keine Utopie und reichen in der Regel aus, um sich zu qualifizieren. Die schwierigste Elo, um sich zu qualifizieren, liegt bei 2550 bis 2570. Jedes Mal wenn man +2 erreicht, wird einem ein Spieler um die 2650 zugelost. Das geschah mir mit GM Khenkin (Elo 2629), GM Tomashevsky (Elo 2641), GM Motylev (Elo 2642), GM Miroshnichenko (Elo 2646), GM Sakaev (Elo 2633) und GM Karjakin (Elo 2686).

Ist es eigentlich normal, dass die Qualifikationsplätze für den WM-Zyklus in nur einem Turnier ausgespielt werden und dazu noch nach Schweizer System? Spieler wie Karjakin, van Wely oder Vallejo schafften es nicht, obwohl sie eine bessere Leistung erspielt haben, als einige, die sich qualifizierten. Durch dieses System spielt der Glücksfaktor einfach eine zu grosse Rolle.

Meine Alternative: Für den WM-Zyklus qualifizieren sich nur die Spieler mit den besten durchschnittlichen Elo-Zahlen, die sie innerhalb der letzten 2 Jahre erspielt haben. Dabei müssen sie natürlich eine gewisse Anzahl an Partien gespielt haben, die festzulegen ist.

Mal davon abgesehen, dass das viel transparenter und gerechter wäre, müsste man sich nicht mit so einem Pfusch wie in Dresden rumärgern.

Um zu verstehen, auf welche Art und Weise solche Meisterschaften dem Schach schaden, nenne ich folgende Zahlen: Insgesamt nahmen 400 Spieler teil. Pro Person kann man durchschnittlich mit 1250 Euro an Ausgaben rechnen. Eine Zahl, die sich aus den Reise-, Unterkunftskosten und den Startgeldern zusammensetzt (Essen zähle ich nicht, da man das zu Hause auch tun muss). Das macht 500.000 Euro. Die Preisgelder beliefen sich auf 160.000 Euro (Steuern mal abgesehen). Das heisst, dass die Spieler 340.000 Euro ausgaben, um den Dresdner Hotelsektor und die ansässigen Verkehrsbetriebe zu subventionieren.

Was passiert nur mit dem professionellen Schach? Worauf gründet sich dieser drastische Abfall des Prestiges und der finanziellen Unterstützung? Welche Bestimmung hat das Schach?

Objektiv betrachtet muss man heutzutage, um Schach professionell zu betreiben, entweder wohlhabend oder ein grosser Schachliebhaber ohne materielle Bedürfnisse sein. „Und was ist mit den besten Spielern der Welt? Die sind doch reich!“ So höre ich schon empörte Stimmen schreien. Von wegen. Im Jahr 1975 bot die philippinische Regierung für ein Match zwischen Fischer und Karpov 5 Millionen Dollar. Das Äquivalent dazu dürfte heute 25 Millionen Dollar sein. Kann sich jemand eine ähnliche Summe für heutige Wettkämpfe vorstellen? Natürlich nicht.

Wie viel werden die meisten Spieler, die sich über Dresden für den Weltcup qualifiziert haben, verdienen? Ich zähle die Plätze 8 bis 41, mit 7,5 Punkten aus 11. Das macht 1041 Euro + das, was sie beim Weltcup verdienen werden. Es ist davon auszugehen, dass die meisten von ihnen die erste Runde kaum überstehen werden, da sie auf frische und wegen ihrer Elo vorqualifizierte Gegner treffen werden. Es dürfte sich um die 4000 Euro bewegen, also um die 5000 Euro mit Dresden insgesamt. Ziehen wir die Kosten für Dresden und Khanty-Mansijsk (liegt ja auch um die Ecke) ab, so bleiben 2500 Euro. Die „glücklichen“ Spieler also, die sich für den Weltcup qualifiziert haben, werden für einen ganzen Monat Arbeit 2500 Euro verdienen, und ich zähle nicht die vielen Wochen an Vorbereitung für solche Ereignisse.

Stirbt das professionelle Schach ab?
Das Verhalten der Spieler und das Aufkommen der Computersoftware haben dem Profischach sehr geschadet. Allerdings macht eine Sache stutzig. Viele Menschen interessieren sich für Schach und man muss sich nur die Zugriffszahlen im Internet anschauen, um zu wissen wovon ich spreche.

Meines Erachtens gibt es zwei Gründe für die jetzige Situation:
Das Ende des kalten Krieges und die unglaubliche Inkompetenz eines Teils der FIDE-Verantwortlichen.

Ich will es erklären. Das öffentliche und ökonomische Interesse für eine Sache entsteht nicht zufällig. Es ist ein Produkt des Handelns der Mächtigen auf der Welt. Mit mächtig meine ich die Magnaten und die Regierungen, die häufig in deren Interesse handeln. Wenige Mächtige unterstützen eine Sache, nur weil sie moralisch erstrebenswert ist.

Schach ist ein leistungsfähiges Instrument, um die mentalen Kapazitäten der Menschen zu entwickeln und nach dem 2. Weltkrieg nutzten die Mächtigen dieses Instrument, um ein ganzes Land mental zu stärken. Nach Ende des kalten Krieges verschwand diese Notwendigkeit. Nun erfüllen die Vereinigten Staaten ihre Polizeiaufgaben auf der ganzen Welt und die übrigen Staaten sehen ihr einziges Ziel darin, wirtschaftlichen Reichtum anzuhäufen und das geschieht idealerweise mit Menschen, die einfach zu steuern sind.

In dieser Situation nutzen sie den Fussball und die Unterhaltung als Instrument, um das Gehirn der Menschen auszuschalten. Damit hat sich das Schach zu einem gefährlichen Werkzeug entwickelt, dass die Menschen nur unnötig auf falsche Gedanken bringen könnte.

Welchen enormen Einfluss die Mächtigen auf die Popularität oder das Vergessen einer Sache haben, zeigt das Beispiel der Physik: Heutzutage sind Physiker sehr beliebt und sehr gut bezahlt. Vor einem Jahrhundert war die Sache aber völlig anders. So gut wie niemand interessierte sich für Physik, bis man nukleare Waffen entdeckte. Danach erkannten die Mächtigen wie „wichtig“ Physik ist und erhoben sie zu einer Königsdisziplin.

Dass die Mächtigen kein Interesse am Schach mehr haben wird klar. Was ist z.B. mit Spanien? Wird Spanien von Weisen regiert? Warum ist es eigentlich ein grosses Problem freitags und sonntags mit RENFE (staatliche Bahngesellschaft) zu reisen, weil es kaum freie Plätze gibt? Ich kenne das Land schon seit 1994 und es bereitet immer noch Kopfschmerzen an diesen Tagen mit der Bahn zu reisen, wenn man nicht schon frühzeitig ein Ticket gekauft hat. Was ist mit den Leuten von der RENFE los? Können die so ein einfaches Problem nicht lösen? Meinen Sie intelligente Menschen könnten es lösen?

Oder nehmen wir irgendein aktuelles Tagesblatt. Mich verwundert die enorme Anzahl an Sexanzeigen, auch in kleinen Lokalblättern. Was ist das für ein Phänomen? Sind die spanischen Männer plötzlich hyperaktiv geworden oder befinden sich die Relationen zwischen Mann und Frau in einem solch kritischen Zustand, dass Prostituierte aus aller Herren Länder hier leichte Beute finden? Aber woher soll auch das Verständnis für das andere Geschlecht kommen, wenn eine Mehrheit der Fernsehkanäle täglich in allen Programmen ausgiebige Beispiele von menschlich absurdem, egozentrischem, intolerantem, verletzendem, kontrollierendem und rachsüchtigem Verhalten propagiert, um am Ende mit „Tor! Tor! Tooooooooooooooooor!“ die Massen zu erlösen?

Meinen Sie nicht auch, dass auf der Welt oder in Spanien Schach und ein wenig Intelligenz vonnöten wäre?

Und über die FIDE-¦was soll man da sagen? Die Führung besteht aus vielen kaum ehrlichen Personen. Betrug, Unbeholfenheit und das Fehlen strategischer Visionen sind ihre Normen. In der Mehrheit Konformisten, mit Liebe zum Geld und wenig Liebe zum Schach.

Die verweichlichte Moral der professionellen Spieler ist die andere Seite der Medaille. Und was soll man von den wenigen Spielern erwarten, die bereit sind für wenig Geld hart zu arbeiten? Viele Spieler verlassen desillusioniert das Schach und versuchen sich in anderer kreativer Arbeit oder setzen sich gleich in ein Büro, um routinemässig ihren Job zu erledigen. Wenigstens dort werden sie noch gut bezahlt.

Das Profischach verdient aber ein besseres Schicksal! Solange tausende im Internet die Turnierseiten besuchen, ist es absurd vom Tod des Profischachs zu sprechen. Es ist die Zeit gekommen, das Finanzierungssystem im Schach zu ändern.

Das Schach hat die Unterstützung der Mächtigen verloren, aber nun ist das Internet gekommen!

Ich denke, dass eine finanzielle Revolution durch das Anerkennen der Rechte der Spieler an ihren Partien stattfinden könnte. Wie soll das funktionieren? Ganz einfach. Besteht ein Interesse, dann soll auch gezahlt werden. Gibt es keine Sponsoren? Egal, dann müssen die Zuschauer zahlen. Damit man die Partien im Internet verfolgen kann, muss man zahlen. Nicht viel. Z.B.: Internetzugang zur Olympiade für eine Runde 3 Euro, für die gesamte Olympiade 25 Euro (das wäre weniger als der Eintritt für eine Runde in Dresden). Das Zahlungssystem müsste natürlich sicher sein.

Ich hoffe nicht, dass es Unstimmigkeiten zwischen Profis und Amateuren gibt. Meine Herren, Ihnen gefällt es schöne Partien auf höchstem Niveau zu sehen. Perfekt! Und uns gefällt es zu essen und unter adäquaten Konditionen diese Partien zu kreieren.

Die Einnahmen müssten natürlich in einem vernünftigen Massstab zwischen Organisatoren und Spielern aufgeteilt werden. Der erste Schritt: alle Partieübertragungen müssen gebührenpflichtig werden, um die Rechte des Autors rigoros zu schützen. Gleichzeitig beseitigen wir einige andere Probleme. Besprochenen Partien und der elenden Remisseuche würde man ein Ende setzen, da die Organisatoren nur Spieler einladen würden, die bereit sind zu kämpfen. Ansonsten wäre es keinem Zuschauer zumutbar dafür Geld zu zahlen.

Ich verspreche Ihnen, dass, wenn solche Massnahmen ergriffen werden, sich das Verhalten der Spieler schlagartig ändern würde. Am Ende profitieren wir alle davon!

Einen herzlichen Gruss an alle Schachliebhaber, Oleg Korneev

Im Original erschienen auf Spanisch am 25.04.2007

In der letzten Runde wurde wieder um jeden Punkt hart gekämpft, obwohl das Turnier mehr oder weniger schon gelaufen war. Meinem sympathischen holländischen Mannschaftskollegen Erwin l`Ami, der mit einer Elo-Zahl von 2617 inzwischen dick im Geschäft ist, gelang zum Abschluss wenigstens noch ein Sieg. Mit seiner Leistung dürfte er aber trotzdem nicht zufrieden gewesen sein.

Ivan Cheparinov steht schon eine Runde vor Schluss als Sieger der 15. Auflage des Sigeman & Co.-Turniers fest. Mit hervorragenden 6,5 aus 8 hat er 1,5 Punkte Vorsprung auf die Verfolger. Heute gelang ihm ein weiterer Sieg, diesmal gegen den jungen Inder Negi:

Dass risikoreiches Spiel nicht immer belohnt wird, muss Jonny Hector fast während des gesamten Turniers erfahren. Heute wollte er partout nicht rochieren und so wurde sein König folgerichtig in der Mitte des Brettes zur Strecke gebracht:

Vassilios Kotronias gilt als grosser Theorieexperte und in dieser Funktion hat er schon einige wichtige Siege errungen. Insbesondere hat er als Weissspieler die Theorie der sizilianischen Verteidigung mit neuen Ideen, häufig Opfer involvierend, bereichert. In „Experts vs. the Sicilian“ wird er sogar als „Hero“ bezeichnet. Heute gelang ihm in der Polugajewski-Variante des Najdorf-Sizilianers ein schöner Sieg gegen den Schweden Hermansson. Dabei wählte er das selten gespielte 10.De2!?. Im Turnier führt weiterhin der Topalov-Sekundant Ivan Cheparinov vor Tiger Hillarp Persson, zu dem ich die Tage auch noch mal etwas schreiben sollte, denn der hat letztes Jahr eine schöne Monographie über seine eigene Eröffnung veröffentlicht.

Mit nachahmenswerten Kampfeswillen wiederholen sich in Malmö täglich die Ereignisse. Die Teilnehmer scheinen vor Beginn des Turniers gemeinschaftlich ins Kino gegangen zu sein und sich die blutrünstige Verfilmung von Frank Millers Comic 300 angeschaut zu haben. Denn Remis spielen ist nicht. Nur 12 von 30 Partien endeten mit diesem Ergebnis und der Rest wurde bis auf den letzten Tropfen Blut ausgekämpft. Heute gewann der Schwede Emanuel Berg eine theoretisch wichtige Partie im Najdorf-Sizilianer gegen Negi (Neuerung 20.Dd4!).

Gestern spielte ich in der 1. Holländischen Liga für meinen Verein Homburg Apeldoorn gegen HMC Calder. Zusammen mit IM Sebastian Siebrecht fuhr ich recht zeitig los, doch lauter Staus und ein mieser Routenplaner liessen uns eine halbe Stunde zu spät zur Partie erscheinen.

Souleidis,Georgios (2412) – de Jong,Jan Willem (2427) [C55]
1. Holländische Liga (8), 21.04.2007

[Georgios Souleidis]

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6 4.d3 Le7 5.0-0 0-0 6.Lb3 d5 [6…d6 ist geläufiger.] 7.exd5 Sxd5 8.Te1 [Nächstes Mal spiele ich wahrscheinlich wieder das theoretisch erfolgreichere 8.h3 ] 8…Lg4 9.h3 Lxf3 Ab hier war ich „Out of Book“. Allerdings muss das kein Nachteil sein, da man seine Kreativität beweisen kann und das Schema-Denken minimiert. [Ich rechnete nur mit 9…Lh5 10.g4 Lg6 11.Sxe5 Sxe5 12.Txe5 was als besser für Weiss gilt, obwohl meine Intuition hier anderes sagt.] 10.Dxf3 Sd4 Bis hierhin spielte mein Gegner á Tempo. Warum, wird gleich aufgeklärt.
Diagramm1
11.Dxd5!? Obwohl ich wegen des Zuspätkommens hier nur 1:20 auf der Uhr hatte – in Holland spielt man mit der Bedenkzeit 2h 40Züge + halbe Stunde für den Rest – investierte ich für diesen Zug satte 40 Minuten, um mir über die Konsequenzen klar zu werden. Das Risiko in eine Vorbereitung rein zu laufen, klammerte ich aus, denn in der 1. Holländischen Liga kann man sich schwerlich auf seine Gegner vorbereiten: Die Aufstellungen werden erst 10 Minuten vor Spielbeginn bekannt gegeben! Mein Risiko wurde am Ende belohnt und ich verbrauchte auch nur noch 25 Minuten für den Rest der Partie. [Nach der Partie klärte mich mein Gegner auf, dass seine Spielweise auf folgender Partie beruhte, die letzte Woche bei der Europameisterschaft stattgefunden hat. Zum Glück hatte er sich aber nicht mit 11.Dxd5 auseinandergesetzt: 11.De4 c6 12.Dxe5 Lf6 13.Dh5 Sb4 14.Dd1 a5 15.Sa3 b5 16.c3 Sxb3 17.Dxb3 Sxd3 mit besserer Stellung für Schwarz in Nepomniachtchi,I (2602)-Naiditsch,A (2654)/Dresden GER 2007] 11…Dxd5 12.Lxd5 Sxc2 13.Txe5!N
Diagramm2
Wenn überhaupt, dann nur so. [Das Endspiel nach 13.Ld2 Sxa1 14.Tc1 Tad8 15.Sc3 c6 16.Lf3 Txd3 17.Le3 Lb4 18.Le2 Td7 19.Txa1 La5 ist mehr als zufriedenstellend für Schwarz, z.B. Dizdar,S (2325)-Mikhalchishin,A (2475)/Zenica 1989;
13.Te2? Sxa1 14.b3? war in meinen Berechnungen nach 10…Sd4 meine erste Idee, doch nach 14…Tad8! kann Weiss fast schon aufgeben.] 13…Lf6 Der logischte Zug. Allerdings kommen hier und in der Folge eine Reihe von weiteren Zügen bzw. Plänen in Betracht Doch in allen Varianten scheint Weiss zumindest Kompensation zu besitzen. [13…c6? 14.Lb3! Sxa1 15.Txe7 Sxb3 16.axb3±;
13…Tae8 14.Te2! Sxa1 15.Lxb7 Lg5 16.Le3 Lxe3 17.fxe3;
13…Ld6 14.Te2 Sxa1 15.Lxb7;
13…Tfe8 14.Te2 Sxa1 15.Lxb7] 14.Te2 Sxa1 15.Lxb7 Ein ganz wichtiger Zug, der die schwarze Bauernstruktur zerstört und die weissen Felder sichert. 15…Tab8 [15…Tfe8!? 16.Le4 Tab8 17.Sa3 Ld4 18.g4!] 16.Le4
Diagramm 3
16…Tb6?! [ Besser: 16…Ld4 17.g4 g6 18.Sa3 (18.g5 f6 19.gxf6 Txf6) 18…f5 19.gxf5 gxf5 20.Ld5+ Kh8 21.Le3] 17.Sa3 Tfb8 18.Sc4 Ta6 19.b3 Diese Stellung hatte ich im Voraus als gut für Weiss eingeschätzt. Weiss verfügt über zwei Riesenleichtfiguren, es ist nicht zu sehen wie der schwarze Springer wieder ins Spiel soll und ausserdem droht 20.Lf4.
Diagramm 4
19…Sxb3? Völlig unnötig, allerdings beruhte der Zug auf einem Rechenfehler. [19…c5!] 20.axb3 Ta1 21.Tc2 Txb3 22.Kh2 a5 [Schwarz wollte hier mit 22…Tc3? meinen Turm tauschen, doch unabhängig davon ob das überhaupt etwas gebracht hätte, scheitert das Ganze taktisch: 23.Tb2! Txd3 24.Lxd3 Lxb2 25.Lxb2+-] 23.Lf4 a4
Diagramm 5
24.Le5!+- Ausnahmsweise beweise ich in dieser Partie gute Technik. Zwei Leichtfiguren sind einfach besser als ein Turm, und der Freibauer erscheint nur stark. [24.Lxc7 gewinnt auch, ist aber viel komplizierter.] 24…Te1 Aus irgendeinem Grund bot mein Gegner hier Remis an. Der Rest ist einfach für Weiss. [24…Lxe5+ 25.Sxe5 f6 26.Sd7+-] 25.Lxf6 gxf6 26.Se3 a3 27.Txc7!
Diagramm 6
27…Tb8 [27…a2? 28.Tc8+ Kg7 29.Sf5+ Kg6 30.Tg8+ Kh5 und Weiss kann sich das Matt aussuchen.] 28.Ta7 Te2 29.Txa3 [Ich überlegte hier 4 Minuten an 29.Kg3 a2 30.Ld5 Tbb2 31.Sf5 h5 und sah, dass ich nach 32.Lxf7+ sofort gewinnen müsste, doch warum kompliziert wenn es auch einfach geht.] 29…Txf2 30.Kg3 Tfb2 31.Ta7 h5 32.Sf5 Td8 33.Sh6+ 1-0

Als wir wieder nach Hause fuhren, stand es 3,5 zu 3,5 bei noch drei laufenden Partien, die allerdings eher für unsere Gegner sprachen. Heute sah ich dann, dass der unglaubliche Bosboom seine verloren geglaubte Partie noch umbog. Mit den zwei restlichen Remisen gewannen wir den Kampf 5,5 zu 4,5 und liegen nun an dritter Stelle, was im Endeffekt ein Riesenerfolg wäre.

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